Kuratorische Konzepte : Peter Galison

Zellen der Wissenschaft

Das vielleicht am stärksten verbindende Thema dieser Ausstellung ist ein ambivalenter Drang: »Wir brauchen Bilder; wir können keine Bilder gebrauchen«. Die im Folgenden näher beschriebenen Ausstellungsbereiche oder »Zellen« sollen das Aufeinandertreffen dieser beiden Bestrebungen im Bereich der Naturwissenschaften verdeutlichen, die sich vom Experiment bis zur Theorie, von Quark-Strukturen der Mikrophysik bis hin zu den größten sichtbaren Strukturen des Universums zeigt.

Struktur des Universums

Seit einigen Jahrzehnten wendet Margaret Geller verschiedene Visualisierungsmethoden an, um die Verteilung von Galaxien im Weltraum darzustellen. Zum allgemeinen Erstaunen konnten sie und ihre Kollegen zeigen, dass Galaxien wie auf der Oberfläche von Seifenblasen angeordnet erscheinen. Das Erzielen und das Aufrechterhalten dieses Schlusses basierte vor allem auf der Entwicklung neuer Formen der Darstellung dessen, was sich weit draußen im Universum ereignet.
Die Geschichte der Astronomie ist jedoch auch gekennzeichnet durch das Infragestellen verschiedenster Visualisierungsmodelle. Seit Jahrzehnten wurde wenig erfolgreich versucht, das Sternenspektrum strikt mit herkömmlichen Methoden zu bestimmen. So scheiterten hierbei die Astronomen verschiedentlich an der rein formalen Analyse der Verteilung von Galaxien.
Bilder bestehen fort - entgegen allen fortwährenden Versuchen, sie zu vertreiben. In diesem Teil der Ausstellung sollen einige der unter großen Anstrengungen erstellten Bilder des Universums vorgestellt werden - von Übersichtsaufnahmen des Himmels, Spektren und Rotverschiebung über dreidimensionale Koordinaten bis hin zu der filmischen Simulation, welche die Astronomenwelt so eindrucksvoll davon überzeugte, dass die Welt doch eine sehr andere ist als wir bisher vermuteten.

Quantenzelle

Seit dem Beginn der Quantenmechanik Anfang der 1910er Jahre stand die Visualisierung auf dem Prüfstand. 1913 wollte Bohr neue Bilder des Atoms entwerfen, verweigerte sich jedoch jedweder Darstellung des Sprungs eines Elektrons von einer Schale zur nächsten. Schroedinger und Heisenberg hatten schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten über die Rolle »bildhafter« Intuition in der Physik. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Auseinandersetzungen zum Thema Quantenrealität zu sehen.
Der Physiker Rick Heller hat eine bemerkenswerte Methode zur Simulation der Quantenbewegung von Elektronen entwickelt. Die in künstlerischer und wissenschaftlicher Hinsicht faszinierenden Ergebnisse zeigen neue Verbindungen zwischen Quanten- und traditioneller Physik auf und etablierten ein völlig neues Phänomen, das »Scaring«.
In dieser Zelle wird die Spur der Bilder verfolgt, die für die Entwicklung des Verständnisses von Quanten wichtig waren, wie sich an ihnen Kontroversen über die Berechtigung bild-basierter Methoden entzündeten und wie sie in manchen Fällen zu Entdeckungen führten, die rein formale Vorgehensweisen nie ermöglicht hätten.

Bild- und Logik-Zelle

In ihrem Kern ist die experimentelle Physik durch ein Spannungsverhältnis gekennzeichnet: dem Bestreben einerseits, die »Mikro-Welt« in Bilder zu fassen, steht andererseits eine ebenso starke Hoffnung gegenüber, dem Bild zu entkommen. Schemenhafte Spuren von Nebelkammern, Nuklearstrukturen und Blasenkammern zieren die Einbände von Textbüchern und sind unserer kulturellen Imagination eingeprägt.
Aber - uns vielleicht weniger vertraut - steht jenen Bildern eine Tradition technischer Gerätschaften und Anwendungen gegenüber, die auf die gänzliche »Vermeidung« von Bilden zielen: Zähler, Zählrohre, Funkenkammern. Die vielleicht bedeutendste Entwicklung in den Laboratorien während der letzten 50 Jahre war die Verschmelzung dieser beiden Richtungen zur Produktion digitaler Bilder - kontrollierbarer, auf Statistiken und Computern basierender Bilder, die bemerkenswerte Ansichten der jenseits des Sichtbaren liegenden Welt hervorbrachten.
Diese Zelle umfaßt u.a. eine Nebelkammer, eine große Auswahl verschiedener Zähler und eine Funkenkammer mit den darin ablaufenden Experimenten sowie Artefakte und Bilder der materiellen Kultur der visuellen und anti-visuellen Produktion im Bereich der Mikrophysik.

Mathematische Zelle

Seit Jahrhunderten setzten sich Mathematiker mit der Rolle von Diagrammen auseinander: Sind sie brauchbare Hilfsmittel? Sind sie das notwendige Fundament der Mathematik? Oder sind diese visuell-sinnlichen Modelle und Bilder eine Ablenkung von der wahren Strenge dieser Disziplin?
Im Mittelpunkt dieser Zelle steht der aus dem 19. Jahrhundert stammende Konflikt zwischen der Entwicklung mathematischer Modelle und dem gegenläufigen Impuls, alle diese Verführungen des Auges zu bannen. Präsentiert wird eine beachtenswerte Sammlung von Modellen mathematischer Funktionen aus Draht, Gips und Holz, die zur Ausbildung von Mathematikern entwickelt wurden. Begleitend finden sich hier dramatisch anmutende Zitate führender Mathematiker, die jeglichen Bezug zum Visuellen oder Haptischen verabscheuten. [Etwa Lagrange, der gegen Diagramme wütete, oder Hilbert, der dem Intuitions-Enthusiasmus Felix Kleins und seiner Verbündeter ablehnend gegenüberstand.]

Quark-Zelle

In diesem Abschnitt werden die vielzähligen Bedeutungen von Visualisierung mit Hilfe eines einzigen, äußerst wichtigen Experimentes der Teilchenphysik präsentiert. So werden etwa als Großprojektionen von Melissa Franklin erstellte Materialien zu sehen sein, die üblicherweise als »Vorlesung« zu Themen der Hochenergie-Physik fungieren. Der Besucher wird durch die somit heraufbeschworenen Myriaden von Visualisierungsformen geleitet - von etwa Abbildungen Fenymannscher Diagrame, die theoretische Berechnungen wiedergeben, über unterschiedlichste, diesem Kontext zugeordnete Schaubilder oder Abbildungen der einzelnen Bestandteile der Apparatur bis zu Bildern von Idealvorstellungen physikalischer Prozesse.

 

+ Biografie

Peter L. Galison

Mallinckrodt Professor für Wissenschafts- und Physikgeschichte an der Harvard University

Peter Galison beschäftigt sich mit philosophischen und historischen Fragen im Hinblick auf die Forschungsmethoden (Theorie und Experiment) der modernen Physik. In diesem Zusammenhang hat er sich vor allem mit Fragen der wissenschaftlichen Visualisierung auseinandergesetzt. Er lehrt über die Geschichte der Physik des 20. Jahrhunderts, des Experimentierens, über Wissenschaft und Realismus der Einsteinschen Revolution und Theorie der Physik des 20. Jahrhunderts. 1997 wurde er Fellow der John D. and Catherine T. MacArthur Foundation, 1999 gewann er den Max-Planck-Preis der Max-Planck-Gesellschaft und der Humboldt Stiftung.

Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen:
How Experiments End [1987], Image and Logic: A Material Culture of Microphysics [1997], Picturing Science, Producing Art [1998] sowie The Architecture of Science [1999]. Für Image & Logic erhielt er im Oktober 1998 den Pfizer Award der History of Science Society.

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