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Die magischen Container

Von Christoph Pingel, am 24.9.03 um 23:12:51 Uhr.

Die magischen Container [1 :: 2 :: 3]

Krieg und metaphorische Rationalität

Krisenzeiten sind Zeiten der Metapher. Technologische Umbrüche haben mit sozialen und politischen Krisen wie Krieg und Migration dem Umstand gemein, daß sie ein gesteigertes Bedürfnis nach Deutung und Sinngebung mit sich bringen. Je schwieriger es wird, zu beobachten und zu beschreiben, »was der Fall ist«, desto häufiger führen Politiker, Leitartikler und Teilnehmer von Stammtischrunden Metaphern im Munde, die das Geschehen im Bild erfassen und als Ganzes, als Gestalt intelligibel machen sollen. Schnell wird ein schwelender low-level-Konflikt wie im Kosovo zu einem neuen »Auschwitz«, Staaten mit problematischer Menschenrechtslage und unberechenbarem außenpolitischem Gebaren werden zu »Schurkenstaaten« personalisiert und Migrationsbewegungen als »Ströme« oder »Ansturm« zu regelrechten Naturkatastrophen stilisiert.

Nun gilt für viele Metaphern das gleiche, was Günther Anders vor fast fünfzig Jahren von Fernsehbildern sagte: Sie sind »verbrämte Urteile«. Sie geben vor, dem Leser oder Zuhörer das Urteil zu überlassen, während doch schon alles gesagt ist. Der Appell an den common sense ist unzweideutig: »Auschwitz« muß mit allen Mitteln verhindert werden, »Schurken« gehören in die Schranken gewiesen, und gegen »Naturkatastrophen« sind vorsorgliche Maßnahmen zu treffen. Oder anders gesagt: Wenn das Problem ist, festzustellen und darzustellen, »was der Fall ist«, dann zeigt sich, daß die Metapher gleichzeitig Teil der Lösung und Teil des Problems ist.

Nach einigen Jahrzehnten kritischer Medienbeobachtung können wir heute besser verstehen, was den Urteilscharakter von Fernsehbildern und anderen medialen Bildern ausmacht, wie also nach dem »pictorial turn« mit Bildern nicht nur geschmückt oder allenfalls illustriert, sondern im engeren Sinne argumentiert wird. Ebenso erlaubt es die zeitgenössische Kognitionstheorie der Metapher, die »verbrämten Urteile« in metaphorischen Ausdrucksweisen aufzuspüren und so zu einer Kritik der Metapher vorzustoßen, die sich weniger leicht als bloße Geschmacks- oder Stilfrage abqualifizieren läßt.

Aber nicht immer wird eine solche Kritik mit dem Aufweis der Simplifizierung und des ideologischen Vorurteils erledigt sein, wie das die oben genannten Fälle erwarten lassen. »Paradox ist an diesen Beschreibungen,
daß die Frage, was das betreffende Ding
denn nun eigentlich sei, gerade durch
die Anwendung der uneigentlichen Rede,
also metaphorisch beantwortet wird.«
Wie gesagt: Die Metapher ist Teil des Problems und Teil der Lösung. Daß der Metapher gerade in der Mediengesellschaft eine regelrechte Erkenntnisfunktion zukommt, zeigt sich auch an den paradox anmutenden metaphorischen Beschreibungen neuer oder noch unverstandener medialer Phänomene: Das Internet ist eine »Informations-Autobahn«, Hyperlinks sind (nicht zuletzt für den Juristen) »Zugänge« zu »Orten«, selbst der zentrale Begriff der Information wird metaphorisch substanzialisiert, so daß Information »aufbewahrt« oder in »Pakteten« oder »Strömen« durch mehr oder weniger magische »Kanäle« verschickt werden kann. Paradox ist an diesen Beschreibungen, daß die Frage, was das in Frage stehende Ding denn nun »eigentlich« sei, gerade durch die Anwendung der »uneigentlichen Rede«, also metaphorisch beantwortet wird. Daß dieses Paradox nicht als störend empfunden wird, liegt an der heuristischen und pragmatischen Funktion der Metapher: Sie erlaubt es beispielsweise dem Juristen, den rechtsfreien Raum auch ohne neue Regelungen klein zu halten und schon vorliegende Gesetze auf die neuen Lagen anzuwenden, während private Internet-Anwender mit dem Bild von Flüssigkeiten, die durch dickere oder dünnere Leitungen fließen, leichter Abschätzungen über »Engpässe« und benötigte »Bandbreiten« vornehmen können.

Nun wird allerdings eine Analyse, die die Rolle der Metapher in gesellschaftlichen Diskursen auf eine pragmatische Kommunikationsfunktion reduziert (gelegentliche Dysfunktionen inbegriffen), dem Ernst der Lage nicht gerecht. Zum einen wäre damit die Metapher (insbesondere in ihrer Ausprägung als literarische Metapher) als »Grenze des symbolischen Sinns« nicht erfaßt, jene Metapher nämlich, die sich nicht in der mehr oder weniger gelungenen Abbildung eines auch anders auszudrückenden Sachverhaltes oder Zustandes erschöpft, etwa wenn existenzielle Grenzsituationen (Krieg, Liebe, Tod, Kreativität) beschrieben werden. Zum anderen scheint sich im Zuge des 'pictorial turn' auch die Rolle der Metapher innerhalb derjenigen kommunikativen Prozesse zu verändern, die bislang nach dem Modell eines Diskurses zwischen rationalen Akteuren abliefen (oder ablaufen sollten). Sie rückt zusehends in den Mittelpunkt der Debatten, genauer: die metaphorische 'Einfassung' der Sachverhalte bekommt axiomatischen, grundlegenden Charakter; damit einher geht die zunehmende Schwierigkeit, die so gefaßten Phänomene anders als innerhalb des metaphorischen Bildes zu beobachten oder zu diskutieren. Dieser Umstand kann fallweise erwünscht sein, doch sollte die Gefahr nicht unterschätzt werden, die von der leichtfertigen Aufwertung der Metapher gegenüber den dürren Formulierungen in unseren Gesetzbüchern ausgeht.

Die hier kurz angerissene Problematik soll nun mit einigen Beispielen verdeutlicht werden. Zwei davon kommen aus dem Bereich gesellschaftlicher Krisen: Migration und Krieg. Einige weitere, die ich weniger ausführlich behandeln werde, sind im Spannungsfeld von Gesetzgebung und 'Neuen Medien' angesiedelt. Die Grundannahmen, Hauptakteure und Methoden der kognitionswissenschaftlichen Metaphernforschung werde ich, wo nötig, nebenbei einfließen lassen.

Fall 1: Die Debatte um die Zuwanderung in den frühen 90er Jahren in Deutschland

Am 28.6.1993 änderte der Deutsche Bundestag den Artikel 16 des Grundgesetzes der Bundesrepublik dahingehend, daß der individuelle Anspruch auf politisches Asyl in Deutschland de facto abgeschafft wurde. Wer aus einem sogenannten »sicheren Drittland« kommt, kann seither in Deutschland kein Asyl mehr beantragen, sondern ist implizit aufgefordert, in das »sichere Drittland« zurückzukehren und dort um Asyl zu ersuchen. Dieser Gesetzesänderung waren zwei mediale Großereignisse vorangegangen, die auf sehr unterschiedliche, aber letztlich 'gleichsinnige' Weise jener Grundgesetzesänderung den Weg ebneten, und zwar einerseits eine Serie von ausländerfeindlich motivierten Verbrechen, bei denen mehrere Menschen zu Tode kamen, und andererseits eine breite Debatte in deutschen Massenmedien zu den Themen Asyl und Zuwanderung. Diese Debatte war nun auf eine bemerkenswert deutliche Weise von Metaphern des Fließens, Strömens und Stürmens bestimmt, was sich z.B. an immer wiederkehrenden Überschriften wie »Breiter Strom vom Balkan« oder »Ansturm von Asylbewerbern erwartet« zeigte. In den Texten war von »Einwanderungsdruck« und »Immigrationswellen« die Rede, Infografiken zeigten Kurven, die die Bildbegrenzung »sprengten« oder eine Landkarte Deutschlands, das von mehreren Seiten durch spiztwinklige rote Dreiecke (mit den aufgedruckten Zahlen von Flüchtlingen aus verschiedenen Teilen der Welt) »zerstochen« wurde. Bemerkenswert war nicht nur das Ausmaß dieser Metaphorisierung (kaum ein Artikel verzichtete darauf, wenigstens die eine oder ander Metapher aus diesem Fundus zu verwenden), sondern auch, daß diese Metaphern offenbar miteinander in einem systematischen Verhältnis standen.

In erster Näherung sieht es so aus, als könnte man diese Metaphern allesamt um den Begriff »Naturkatastrophe« herum gruppieren. Doch was ist mit der »rahmensprengenden« Zuwanderungskurve? Und gehört nicht auch »Das Boot ist voll« irgendwie hierher? Es zeigt sich, daß man das Metaphernsystem dieser Debatte noch besser und umfassender beschreiben kann, wenn man zunächst einmal von dem Konkretum »Naturkatastrophe« abstrahiert und das zugrundeliegende Bildschema betrachtet. Dieses Bildschema ist gekennzeichnet durch eine Begrenzung (Grenze, Mauer, Einfassung, Zaun etc.), die zunächst einmal einen Innenraum von einem Außen trennt. Der Innenraum ist typischerweise sicher, von Ruhe und Ordnung geprägt, während draußen die »Elemente« toben und mit zunehmendem »Druck« die Begrenzung in Gefahr bringen: Die Mauer könnte einstürzen und im Inneren könnten Chaos und Regellosigkeit ausbrechen, wenn die »Flut« hereinbricht. Offenbar hat das Bildschema also auch eine zeitliche Dimension - wir haben es mit einem metaphorischen Szenario zu tun, das einen nicht eindeutig determinierten zeitlichen Verlauf aufweist, also 'eigene' Handlungsmöglichkeiten offenhält. Die zackige Infografik aus dem SPIEGEL, die möglicherweise einfach einer Grafikerlaune entsprang, kann nun als Darstellung des »rahmensprengenden« Verlaufs der Zuwanderung interpretiert werden - durch die richtige (d.h. zu kleine) Wahl der Bezugsgröße wird aus einer nüchtnernen Zahleninformation die Nachricht »Es ist schon fünf nach zwölf«: Die Grenze des »Erträglichen« ist bereits durchbrochen. Auch das berüchtigte »volle Boot« erhält auf dieser abstrakteren Ebene (Bildschema/Szenario) seinen Platz im System. Das Boot (das ja auch ein Rettungsboot sein könnte und damit im Kontext von »Katastrophen« zunächst einmal eher nach Hilfe klingt) könnte untergehen oder auseinanderbrechen, wenn noch mehr Personen an Bord gehen. Auch hier ist die Bedrohung durch den Verlust der Grenze von Innen und Außen gegeben. Bittere Ironie ist es, daß gerade Flüchtlinge ihrerseits (man denke an die 'boat people') mit zu vollen Booten mitunter ganz und gar unmetaphorisch tödliche Erfahrungen machen.

Man könnte es nun dabei bewenden lassen und die weitere Interpretation der Tiefenpsychologie überlassen, die der katastrophischen Grenzverletzung sicher (vor allem wenn Körpererfahrungen und deren Übertragung ins Politische ins Spiel gebracht werden) die erhellende Einsichten abgewinnen könnte. Und sozialpsychologisch könnte noch angeführt werden, wie treffend die Metapher der Stimmungslage (Stichwort »Bedrohung«) in Teilen der Bevölkerung Ausdruck verleiht und in einem zugegebenermaßen reißerischen Bild doch einige wesentliche Aspekte der Situation auf den Punkt bringt und ihnen eine Gestalt gibt, die auf einen Blick zu erfassen ist, und sich damit aufmerksamkeitsökonomisch legitimiert.


aus dem SPIEGEL

Doch noch ist der systematische Zusammenhang der Katastrophenmetapher nicht ausgeschöpft. Denn der Innenraum des metaphorischen »Containers« ist nicht nur formal durch die Grenze nach außen markiert, sondern auch mit Eigenschaften ausgestattet. Er steht zumeist für die Nation oder das lokale Gemeinwesen. Je nach Bedarf erlaubt es die Metapher, das, was daran als »schützenswert gegen Zuwanderung« angesehen wird, individuell auszubuchstabieren: Ausbildung, Wohlstand, innere Sicherheit und kulturelle Autonomie sind wohl die wichtigsten Faktoren, die in der Debatte um Asyl und Zuwanderung immer wieder als bedroht markiert worden sind. Die Metapher erzeugt nun einen »chunk«, faßt diese Einzelaspekte zu einem Bündel zusammen und verleiht gerade dadurch jedem von ihnen zusätzliches Gewicht. Sollte einmal in einer Argumentation auf sachlicher Ebene einer der Punkte entkräftet werden (wie es z.B. hinsichtlich der im Vergleich zu Deutschen vermeintlich höheren Ausländerkriminalität mehrfach geschehen ist ), so bleibt dennoch der Gesamteindruck der Bedrohung bestehen.
Die Grenze in unserem Bildschema steht fallweise für die politische Grenze Deutschlands, für die europäischen Außengrenzen, dann aber auch für ein ganzes Bündel von Maßnahmen und Regelungen sowie die Mittel zu deren Durchsetzung, von Ausländerrecht bis Bundesgrenzschutz. Doch man ruft nicht ungestraft den »Ausnahmezustand« aus, indem man von einer »Katastrophe« spricht - die Abgründigkeit dieser Metapher zeigt sich an der Art und Weise, wie in Hoyerswerda im September 1991 der Selbstschutz gegen die »Ausländerkatastrophe« praktiziert wurde: Bekanntlich applaudierten die Anwohner, als rechtsradikale Schläger das dortige Asylbewerberwohnheim angriffen.
Interessant ist auch die Beschaffenheit des bedrohlichen Außen im Bildschema, das ebenfalls genauer spezifiziert und zudem mit einer Eigenbewegung ausgestattet ist. Auch wird nicht einfach alles Mögliche, was bedrohliche Wirkung ausüben könnte, auf die »Stürme« und »Fluten« abgebildet, sondern es handelt sich genauer um die ungeordnete, aber kraftvolle Bewegung vieler Einzelelemente, die insgesamt einen »Druck« (»Einwanderungsdruck«) auf die »Grenze« ausüben. »Die nüchterne Festlegung des Grundgesetzes,
daß politisch Verfolgte in Deutschland Anspruch
auf politisches Asyl haben, war der Macht
des Bildes vom hereinbrechenden Chaos
nicht gewachsen.«
Die ökonomischen, sozialen und politischen Umstände in den Herkunftsländern der Asylbewerber, Aussiedler und Kriegsflüchtlinge, die für eine kausale Analyse des Phänomens Migration maßgeblich wären, tauchen in der Metapher lediglich als »Druck« (»Migrationsdruck«) auf und werden nicht weiter spezifiziert. Von etwa zugrundeliegenden persönlichen Gründen und Entscheidungen der Personen, die einwandern oder um Asyl ansuchen möchten, sieht die Metapher vollends ab. Die Personen-als-Elementarteilchen scheinen lediglich auf physische Kräfte zu reagieren und erscheinen nicht als mögliche Diskursteilnehmer.
Interessanterweise befindet die schließlich getroffene Hauptmaßnahme im Einklang mit dem metaphorischen Modell des Problems - die Änderung des Asyl-Paragraphen im Grundgesetz ist eine Defensivmaßnahme, also Arbeit an der »Grenze«; Ursachenforschung spielt allenfalls eine marginale Rolle.
Sicherlich hat diese Katastrophenmetapher der Ausländerproblematik, die so divergente Sachverhalte wir Unterbringungsschwierigkeiten in den Kommunen, finanzielle und organisatorische Engpässe, Gewalt gegen Asylbewerber und andere Personen, die unterstellte Arbeitsplatzproblematik und und vieles andere in einem griffigen Bild zusammenfaßte, mit dazu beigetragen, daß im Bundestag ein annähernder Konsens für die Änderung des Asylparagraphen (Zwei-Drittel-Mehrheit) gefunden werden konnte, und das zu einer Zeit, als die Asylbewerberzahlen bereits wieder rückläufig waren. Die nüchterne Festlegung des Grundgesetzes, daß politisch Verfolgte in Deutschland Anspruch auf politisches Asyl haben, war der Macht des Bildes vom hereinbrechenden Chaos nicht gewachsen, obgleich die historischen Hintergründe, die genau zu jener grundsätzlichen Regelung führten, den politischen Akteuren so kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands durchaus präsent gewesen sein müssen. [weiter]