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Die magischen Container (2)

Von Christoph Pingel, am 24.9.03 um 23:14:37 Uhr.

Fall 2: Die USA und ihre »Feinde«

Gilles Fauconnier und Mark Turner beschreiben in ihrem kognitionswissenschaftlichen Grundlagenwerk »The Way We Think« die »topology of a mental space«:

A mental space consists of elements and relations activated simultaneously as a single integrated unit. Often, a mental space will be organized by what we have called a conceptual frame.

Am Beispiel des Frames Boxkampf führen sie die häufigsten Strukturmerkmale solcher Frames ein: Maße, kraft-dynamische Struktur und Bildschema. Wie wir gesehen haben, sind all diese Elemente im Frame Naturkatastrophe gegeben: Windstärken oder Pegelstände sind die Maße, die physikalischen Kausalketten (Luftdruckunterschiede erzeugen Wind, etc.) sind die kraft-dynamische Struktur, und Dämme, Schutzwälle oder geschlossenen Behausungen sind mögliche Elemente des Bildschemas container. Hinzu kommen die von Fauconnier und Turner so genannten »vital relations« wie Zeit, Ursache-Wirkung, Identität und einige mehr. Sie bilden gleichsam das begriffliche Gitter, das es erlaubt, die Bezüge zwischen den Elementen des Frames und deren mögliche Veränderungen in der Zeit auszubuchstabieren. In der metaphorischen Abbildung werden die »vital relations« mit »herübergeholt«, man denkt also - um beim Beispiel Zuwanderung zu bleiben - in Termini von Naturkatastrophen (um des Schutzes davor) über Zuwanderung nach, mit allen o.g. inhaltlichen Implikationen.

Die Unterscheidung innen/außen, die auch das Bildschema container maßgeblich motiviert, wird uns auch in der folgenden Auseinandersetzung mit den Metaphernsystemen des Golfkriegs II und des US-amerikanischen Neokonservatismus beschäftigen. Da diese Unterscheidung absolut grundlegend ist , bietet sie reichlich Gelegenheit zur Analogiebildung, etwa zwischen Staaten einerseits und Organismen bzw. Personen auf der anderen Seite.
George Lakoff hat in einem mittlerweile berühmt gewordenen Aufsatz, den er im Januar 1991 im damals noch neuen Medium E-Mail an eine Reihe von Kollegen verschickte, auf die Metaphernsysteme aufmerksam gemacht, mit denen der damals unmittelbar bevorstehende Krieg in der amerikanischen Öffentlichkeit diskutiert und gerechtfertigt wurde. Demnach wurde im US-Kongreß die Gleichsetzung von Irak und Vietnam verworfen und stattdessen Saddam Hussein als neuer »Hitler« gekennzeichnet. (In der Folgezeit wurden übrigens der 2.Weltkrieg und die Nazizeit als Metaphernreservoir regelrecht ausgebeutet, bis hin zu jener umstrittenen Äußerung des deutschen Außenministers Fischer im März 1999, der mit dem Slogan »Nie wieder Auschwitz« für einen bewaffneten Einsatz gegen Jugoslawien Werbung machte. Das brachte ihm u.a. geharnischte Kritik von einer Gruppe von vierzehn KZ-Überlebenden ein, die sowohl die versuchte Rechtfertigung eines Krieges gegen Jugoslawien als auch den Vergleich selbst als Auschwitz-Verharmlosung ablehnten.)
Die Notwendigkeit eines militärischen Eingreifens am Golf war von US-Präsident Bush zunächst mit dem ungehinderten Zugriff auf kuwaitisches Öl durch die Amerikaner begründet worden; als diese Argumentation nicht den erwünschten Effekt hatte, wurde die Story des unschuldigen Kuwait nachgeschoben, das vom bösen Nachbarn überfallen und »vergewaltigt« wurde. Zur Rettung des vergewaltigten »Mädchens« fühlte sich, wie sollte es anders sein, der große Bruder USA berufen. Was sich hier wie eine sarkastische Überspitzung liest, war tatsächlich Sprachregelung der US-Regierung. Eine wichtige Rolle spielt hier die Metapher Staat-als-Person, ohne die diese Geschichte nicht »funktionieren« würde. Staaten lassen sich metaphorisch gut auf Personen abbilden: Wie Personen haben Staaten eine Außengrenze, eine innere Struktur, gewisse lebenswichtige Funktionen (die Industrie als »Stoffwechsel«, Verkehr als »Blutkreislauf«) und manchmal eben auch üble oder hehre Absichten. Die seit dem Ende des Kalten Krieges gültige Militärdoktrin der USA, die sogenannte »Rogue-Doktrin«, die sogenannte »Schurkenstaaten« als militärische Hauptbedrohung Amerikas ausmachte, trägt diesem Umstand Rechnung. Sie ist nichts weiter als die Metapher Staat-als-Person, die in ein Szenario von Bedrohung und »Strafandrohung« eingebettet ist. Sie ist in den USA offenbar eine unmittelbar gültige Vorlage für die Außenpolitik geworden, nicht nur in militärischer Hinsicht, sondern auch was internationale Vereinbarungen z.B. zur Waffenkontrolle angeht: Die äußerst umstrittene Entscheidung der Bush-Administration, sich an keinen weiteren Verhandlungen über die Begrenzung von Chemie- und Biowaffen zu beteiligen, wurde in Washington mit dem Hinweis versehen, die Polizei würde sich ja auch nicht mit der Mafia an einen Tisch setzen, um über die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu verhandeln.
Die Metapher Staat-als-Person blendet, ähnlich wie wir das oben im Fall der Naturkatastrophe schon gesehen haben, bestimmte Aspekte der so beschriebenen Situation aus. Die komplizierten staatsrechtlichen und ethischen Fragen der staatlichen Souveränität, die aufs Engste mit dem staatlichen Gewaltmonopol und der Idee des Staates als Garant für die Unversehrtheit an Leib und Leben der Staatsbürger verknüpft sind, treten im Fall des Golfkriegs von 1991 in den Hintergrund gegenüber der Erzählung vom großen Bruder des Opfers, der den Übeltäter »in die Schranken weist«. Die Gewalt und die Zwangsmaßnahmen, die dem Diktator gelten, treffen fast immer die Falschen.
Eine andere interessante Debatte, in der die container-Metapher eine große Rolle spielte (und wieder spielen wird), dreht sich um die »New Missile Defense«, eines der Lieblingsprojekte der Bush-Administration. Bei NMD handelt es sich um ein System zum Aufspüren und Vernichten nahender feindlicher Langstreckenraketen; wenn es funktioniert, werden die gegnerischen Geschosse bereits in der Luft zerstört, und zwar in so großer Höhe, daß sie auf dem Boden vergleichweise wenig Schaden anrichten können. Die Notwendigkeit eines solchen Systems wurde mit der Bedrohung durch »Schurkenstaaten« begründet, die sich aufrüsten und irgendwann die USA oder ihre Verbündeten mit Langstreckengeschossen bedrohen und so erpreßbar machen könnten.
Die Geschichte derartiger automatisierter Aufklärungs- und Abwehrsysteme geht zurück bis in die Zeit kurz nach dem 2. Weltkrieg, als zum ersten Mal ernsthaft über die Möglichkeit des Einsatzes digitaler Computer in der Landesverteidigung nachgedacht wurde. Der Techniksoziologe Paul N. Edwards hat die Geschichte solcher Systeme (von SAGE bis SDI) im Lichte des politischen Diskurses des Kalten Kriegs untersucht und ist zu der einigermaßen überraschenden Feststellung gekommen, daß solche Systeme in der Regel technisch nicht oder nur unzureichend funktioniert oder zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung bereits überholt waren, während sie auf der Diskursebene erfolgreich als »Technik gewordene Argumente« fungierten .
Für unseren Zusammenhang ist zunächst einmal der »Frame« interessant, in dem all diese technologischen Entwicklungen stattfanden. Nach Edwards bestand dieser Frame in der Annahme eines finalen und ubiquitären Konflikts zwischen der sogenannten Freien Welt auf der einen und der Sowjetunion und ihren Satelliten auf der anderen Seite in einer »closed world« , einer hermetisch abgeschlossenen Welt. Abgeschlossen ist diese Welt gleich drei mal: nach außen gibt kein Entkommen vor dem Konflikt (im Gegensatz zur »green world« ), nach innen gilt gegenüber dem weltanschaulichen Gegner die Doktrin des »containment« , also der möglichst weitgehenden und umfassenden Überwachung und Einschränkung seiner geopolitischen Entfaltungsmöglichkeiten; umgekehrt sind auch die USA ein »container« mit verletzlichen Außengrenzen, die geschützt werden müssen. Jeder dieser Container ist auf seine Weise Gegenstand militärtechnologischer Entwicklungen, die mit dem Diskurs des Kalten Krieges in einem gegenseitigen Begründungsverhältnis stehen: Wenn General McArthur verkündet, »we defend every place« , so ist damit der gesamte Planet als Ort des dramatischen Geschehens markiert, die »Weltbühne« gleichsam, auf der das Drama der Guten gegen die Bösen sich abspielt. Doch diese Bühne ist zunächst einmal ein Versprechen, das erst technologisch eingelöst oder zumindest plausibel gemacht werden muß, etwa durch Raumfahrt und Satellitentechnologie, durch die die Bühne einen Zuschauerraum bekommt und so erst als Bühne sinnfällig wird.
Auch der kleinere container USA, der nach außen etwa gegen Angriffe durch feindliche Langstreckenbomber geschützt werden sollte, mußte zunächst technisch-sozial »konstruiert« werden. Das MIT errichtete in den 50er Jahren in enger Zusammenarbeit mit IBM das Semi-Automatic Ground Environment, kurz SAGE , das einfach gesagt zur Integration von Radardaten aus unterschiedlichen Quellen diente, die dann - mit Hilfe digitaler Computertechnologie - auf einem Bildschirm gemeinsam dargestellt werden konnten. Damit war für die Soldaten der Air Force zum ersten Mal die Möglichkeit geschaffen, auf einen Blick zu erfassen, was an den Grenzen des Landes »der Fall ist«. Es lohnt sich, an diesem Beispiel die Strukturanalogien zwischen Metapher und Technologie durchzuspielen, die sich auf mehreren Ebene abspielt. Zum einen ist es ja gerade, wie wir oben gesehen haben, eine Eigenheit der Metapher, komplexe Sachverhalte im Bild als einheitliche Gestalt wahrnehmbar zu machen. Und genau nach diesem Muster - Darstellung eines einheitlichen, idealisierten Modells der Wirklichkeit in einem bildlichen Medium - funktioniert SAGE. Weiterhin ist SAGE selbst eine Anwendung der Metapher Staat-als-Person, und zwar insofern es der »zentralisierten Datenverarbeitung« im menschlichen Organismus nachgebildet ist. Der (häufig unterirdische ) Kontrollraum ist das Gehirn, die Datenleitungen sind die Nerven, die Radarstationen die Sinnesrezeptoren an den Nervenenden. Das ganze System bildet einen Teil des sensorischen Homunkulus des Staates-als-Person, während die gegebenenfalls in Bewegung gesetzten Abfangjäger den motorischen Homunkulus darstellen. <br>Die Geschichte der computerisierten Landesverteidigung ist allerdings von Berichten und Legenden über falsche Alarme umrankt, deren Auswirkungen nur durch das beherzte Einschreiten von menschlichen Individuen auf ein zuträgliches Maß begrenzt werden konnten. Edwards berichtet im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg von etlichen spektakulären Ausfällen der dort eingesetzten Sensorik, die immer wieder dazu führten, daß Vietcong-Truppen an Orten auftauchten, wo sie gemäß des Computermodells garnicht hätten sein dürfen. Die digitalen Repräsentationstechnologien teilen also mit der »Repräsentationstechnologie« der Metapher das Problem der Artefakte, die später auf der Handlungsebene als handfeste Fehlurteile wiederbegegnen. Beide unterhalten ein gespanntes Verhältnis zu dem, was jeweils »der Fall ist«. Es handelt sich wohlgemerkt in beiden Fällen gerade nicht um Fehler bei der Codierung bzw. Decodierung oder um mangelnden Abstand von Rauschen und Nutzsignal, sondern um genuine »Interpretationsartefakte«, ein fehlerhaftes »Mapping« der zuhandenen Daten auf einen darzustellenden »state of affairs«.

Man versteht allerdings die gegenseitige Durchdringung von Technologie und Diskurs nur unzureichend, wenn man die außer Acht läßt, welche Rolle die Massenmedien und dort insbesondere die Bildmedien bei der Darstellung der »phantastischen« Möglichkeiten der jeweils neusten, gerade in Entwicklung befindlichen Technologien spielen. Die oben am Beispiel von SAGE aufgezeigte Durchdringung der Technik mit metaphorischen Vorstellungen (Staat-als-Person, Container, Information-als-Substanz) ist nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen die populärwissenschaftlichen Darstellungen, die der Zuschauerschaft die Welt als Bühne für den finalen Konflikt zwischen hochgerüsteten Person-Staaten vorführten. So kamen etwa in den 50er Jahren mit dem Aufkommen der Satellitentechnologie jene Darstellungen des Globus in Mode, der durch den »Aufmerksamkeitskegel« eines Satelliten sensorisch »erfaßt« ist. Das Publikum mußte noch auf die Idee eingestimmt werden, daß - nur kurz nachdem Langstreckenbomber das Nonplusultra der Militärtechnik darstellten - nunmehr die Akteure in diesem globalen Schauspiel über »Augen« verfügten, die buchstäblich »alles«, was sich am Boden und darüber abspielte, sehen konnten. Zugleich stellen solche Schaubilder die »best-case«-Szenarien der Ingenieure dar, mit denen die Universitäten neue Forschungsgelder einwerben konnten. Und nebenbei lernte die Öffentlichkeit, daß wir nun ins Zeitalter der globalen Selbstbeobachtung der Menschheit eingetreten sind, wie Peter Sloterdijk das einmal nannte.
Auch bei der New Missile Defense spielt die container-Basismetapher eine wichtige Rolle; diesmal ist die Rede von einem »Schirm«, unter den die Verbündeten mal dürfen und mal nicht wollen, gerade so, als müßte da jemand zur Seite rücken, damit alle Platz haben. Neu (jedenfalls im Zusammenhang der hier skizzierten Rhetorik) ist allenfalls, daß die »closed world« im Sinne eines finalen Konflikts aufgegeben ist zugunsten einer »green world«, einer unordentlichen Welt, in der es auch einmal aus unvorhergesehener Richtung Raketen »regnen« könnte. Doch trotz eines offiziell völlig andersgearteten »Feindes« bleiben die großen technologischen Entwicklungslinien die gleichen.

Daran änderten auch die Attentate vom 11. September 2001 nichts, durch die das Projekt NMD obsolet hätte werden können. Gegen in Brandbomben verwandelte Passagierflugzeuge hilft kein noch so funktionstüchter »Schirm« zu Raketenabwehr. Allein die Sprache ändert sich: Die Raummetaphern weichen einer hochgradig moralisierenden Metaphorik, in der »der Feind« gejagt und im Kontext eines »Kriegs gegen den Terror« »zur Strecke gebracht« werden soll. Statt command & control herrschen nun Vokablen wie »Freiheit«, »Haß« oder »Vergeltung« vor. Es ist hier nicht der Ort, um auf die rhetorischen Kapriolen der gegenwärtigen US-Regierung im einzelnen einzugehen, aber einige grundlegende metphorisch motivierte Denkfiguren sollen doch »gehoben« werden, zumal Presse und Funkmedien in den USA und teils auch hierzulande mit der zu erwartenden Leichtigkeit darauf angesprungen sind.
Wenig überraschend ist zunächst einmal die Selbstverständlichkeit, mit der der US-Präsident seit dem 11. September 2001 von »dem Feind« spricht. Nachdem festgestellt wurde, daß Amerika »under attack« sei, konnte auch die Rolle »Feind« vergeben werden, wenngleich unsicher ist, was alles genau unter diese Bezeichnung fällt; sicher ist nur, daß es sich dabei - anders als Bush in seinen Ansprachen impliziert - nicht um eine Größe handelt.
Der Begriff »Krieg« selbst oszilliert merkwürdig zwischen seiner wörtlichen und seiner metaphorischen Verwendung. Völkerrechtler sind skeptisch, ob denn die Terrorangriffe auf das World Trade Center tatsächlich im Wortsinn einen kriegerischen Akt darstellen. Die offizielle Sprachregelung der US-Regierung, von einem »Krieg gegen den Terror« zu reden, stellt darauf eine geschickte Reaktion dar: Schon »Krieg gegen die Drogen« war als Label für ein Bündel von Maßnahmen gedacht, die von Aufklärung und Prävention über polizeiliche Maßnahmen bis hin zu handfesten bewaffneten Aktionen reichen. Auch der »Krieg gegen den Terror« ist ein solcher »conceptual blend« , in dem die wörtliche und die übertragene Bedeutung von »Krieg« nicht mehr auseinandergehalten werden. Man kann das als semantisches Gegenstück zur »Logik der Eskalation« sehen: Aus dem (metaphorischen) Krieg gegen den »Terror« (als soziales Phänomen) wird der wortwörtliche Krieg gegen Länder oder Gruppen, die dem Phänomen »Terror« mal locker, mal strikt zuzuordnen sind. Innerhalb des »conceptual blend« verdient alles, was die Regierung an Maßnahmen dem »Krieg gegen den Terror« zurechnet, a priori die gleiche Anerkennung wie die bescheidene und ohne weiteres konsensfähig Tatsache, daß die meisten Bürger den Terror ablehnen und wünschen, daß er »bekämpft« werde.
Die Bewegung ist also eine doppelte: Der Krieg im wörtlichen Sinn erhält Legitimation durch den Konsens über den »Krieg« oder »Kampf« gegen den Terror im metaphorischen Sinn. Zugleich entsteht im Szenario »Krieg« die Leerstelle »Feind«, die dann durch jeden einigermaßen passenden Kandidaten ausgefüllt werden kann. Und in der Tat hat George W. Bush nicht selten erst nachträglich »klargestellt«, was er »von Anfang an« meinte, wenn er »Krieg gegen den Terror« sagte; zuletzt sagte er kurz vor dem Angriff gegen den Irak sinngemäß, er habe mit »Krieg gegen den Terror« schon immer nicht nur die Absetzung der Taliban gemeint, sondern eben auch den »Regimewechsel« in Bagdad. Der demokratische Senator Robert Byrd beschreibt die Strategie der US-Regierung so:

There is ample evidence that the horrific events of September 11 have been carefully manipulated to switch public focus from Osama Bin Laden and Al Queda who masterminded the September 11th attacks, to Saddam Hussein who did not. [...][The Administration] assiduously worked to alarm the public and blur the faces of Saddam Hussein and Osama Bin Laden until they virtually became one.

George Lakoff publizierte kurz nach den Septemberattentaten einen Aufsatz im Internet, in dem er das »Framing« der Ereignisse durch die US-Regierung kritisiert. Damit wird ein weiterer Aspekt der metaphorischen Argumentationsstrategie der US-Regierung verstänlich. Zugrunde legte er die Kerngedanken seines Buches »Moral Politics«, in dem er eine Art Metaphernwissenschaft der politischen Szene in den USA vorstellt. Die Konservativen sind demnach Anhänger einer »strict father morality«, während die Liberalen der »nurturing morality« den Vorzug geben . Die jeweiligen Werte stehen nicht für sich selbst, sondern im Kontext eines detaillierten Systems von Metaphern, Metonymien und Allegorien. Anhand der »strict father morality« spielt Lakoff das nun für den »Krieg gegen den Terror« folgendermaßen durch:

a) Das Böse ist eine Substanz.
b) Der Kampf zwischen Gut und Böse ist ein Kampf, in dem die (moralische, physische) Kraft der Kontrahenten entscheidet.
c) Wer zu schwach ist, macht sich zum Komplizen des Bösen.
d) Es ist unmoralisch, schwach zu sein oder Schwäche zu zeigen oder etwas zu tun, das als Schwäche ausgelegt werden kann.

Bemerkenswert ist die Erklärungskraft dieses Modells konservativer »Rationalität«. Die teils hysterischen amerikanischen Reaktionen auf die europäische Kriegsskepsis (Washington Post: »Europe has lost its moral compass.«) können unmöglich, wie das vor allem in den US-Medien oft behauptet worden ist, darauf zurückzuführen sein, daß die Amerikaner mit dem 11. September ein besonderes Erlebnis mit dem Schrecken des Terrorismus hatten, gleichsam einen »priviledged access« zum Grauen. Auch für den allergrößten Teil der Amerikaner hat sich der 11. September in erster Linie auf den Bildschirmen abgespielt. Doch die Massenmedien in den USA haben sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die folgende metaphorische Schlußkette zu eigen gemacht: Da das Böse als Substanz nur dann »vernichtet« werden kann, wenn man ihm gegenüber genügend moralische und physische Kraft aufwendet, ist alles, was diese Kraft schwächt oder eine solche Schwächung auch nur andeutet oder symbolisiert, ein Komplize des Bösen und daher, da das Böse ursächlich für den Terrorismus ist, für den Fortbestand des Terrorismus mitverantwortlich. Dieses Metaphernsystem ist auf perfide Weise gegen jegliche Kritik immunisiert; insbesondere sind jegliche Fragen nach den sozialen, wirtschaftlichen oder weltanschaulichen Ursachen des Terrorismus a priori fehl am Platze, denn sie verkennen nicht nur die wahre Natur des Bösen (eine Substanz zu sein), sondern sie lassen sich daher auch als Schwäche gegenüber dem Bösen interpretieren, sind also implizit gefährlich. Gleiches gilt praktisch für jede Art der Nachfrage. Die Massenmedien werden somit zu Gefangenen einer moralisierenden, aber nicht moralischen »Logik«, zu den ausführenden Organen eines regierungsamtlich verordneten »Journalism of Attachment«

Eine originelle Variante dieser moralischen Verkleidung politischen Handelns bot die CDU-Vorsitzende Angela kurz vor ihrem Amerika-Besuch im Februar 2003. Bemerkenswert ist die Komplexität des Gedankengangs, der in einem auf den ersten Bild lediglich etwas »schiefen« Bild dargelegt ist. Merkel schrieb in ihrem Beitrag für die Washington Post, mit dem sie ihre Reise publizistisch vorbereitete, folgendes:

Peace is a supreme good, for the sake of which every effort has to be made. But it is also true that responsible political leadership must on no account trade the genuine peace of the future for the deceptive peace of the present.« [etwa: »Der Friede ist ein hohes Gut, um dessentwillen jede Anstrengung unternommen werden muß. Aber es trifft auch zu, daß ein verantwortlicher Staatsmann den wahren Frieden der Zukunft unter keinen Umständen gegen den trügerischen Frieden der Gegenwart eintauschen darf.«]

Frieden als »Gut« ist zunächst einmal, wenn überhaupt, eine hochgradig konventionelle Metapher. Sie ist bereits so weit eingeschliffen, daß es schwerfällt, wie bei allen abstrakten Gütern den metaphorischen Charakter der zugehörigen »Güterabwägung« noch zu erkennen. Merkel holt die zugrundeliegende Metapher hervor und behandelt den Frieden nicht nur als ein Gut (das gegen andere »abgewogen« werden könnte), sondern gleich als ein Gut, mit dem Handel getrieben werden kann (»trade«), das also im Wortsinn eingetauscht werken kann oder eben nicht. Sie macht zudem zwei Annahmen, die notwendig sind, damit ihre Aussage überhaupt sinnvoll wird. Erstens geht sie davon aus, daß es das Gut Frieden in unterschiedlichen Ausführungen gibt (»true« vs. »deceptive«), die unterschiedlichen Wert haben, aber miteinander verrechenbar sind. Allein die Verkürzungen und Werturteile, die in diese beiden Adjektive einfließen, sind politikwissenschaftlicher Zündstoff, sollen aber hier im Rahmen der Metaphernanalyse keine Rolle spielen. Zweitens unterstellt sie, daß mit dem Gut »wahrer Frieden« durchaus jetzt schon gehandelt werden kann, auch wenn dieser »wahre Frieden71; noch ein zukünftiger ist. Sie behandelt diesen »wahren Frieden« wie ein Börsenmakler seine »futures« - als Güter, die jetzt schon einen Wert haben, auch wenn dieser lediglich eine Spekulation auf mögliche Zukünfte ist. Verantwortliche politische Führerschaft ist metaphorisch gleichgesetzt mit dem optimalen, also gewinnmaximierenden Umgang mit den ideellen Ressourcen, allerdings in diesem Beispiel kombiniert mit einer bizarren Umdeutung der Besitzverhältnisse: der »wahre«, aber noch zukünftige Friede (den wir also nicht haben) darf nicht gegen den »trügerischen« gegenwärtigen Frieden (den wir haben) eingetauscht werden. Wir müssen also etwas behalten, das wir noch nicht haben. Das bedeutet auf der Sachebene, daß wir es wenn irgend möglich herstellen müssen. Zum Glück, so müßte man Merkel weiter ausbuchstabieren, ist der Frieden, der durch den so notwendig gewordenen Krieg auf der Sachebene gebrochen wird, etwas, das wir auf der hier maßgeblichen metaphorischen Ebene weder besitzen noch (weil »trügerisch« und daher minderwertig) behalten wollen. Diesen Frieden loszuwerden ist also gerade kein Verlust.
Es soll hier nicht verschwiegen werden, daß es jede Risikoabschätzung mit der Bewertung möglicher Zukünfte zu tun hat und im Grunde eine Güterabwägung unter Einbeziehung von Wahrscheinlichketein darstellt; insofern hat Frau Merkel keineswegs den Handel mit ideellen »Futures« erfunden. Doch von Wahrscheinlichkeiten ist in ihrem Artikel nicht die Rede. Ihr Argument beruht vielmehr darauf, daß der »wahre Friede in der Zukunft« schon jetzt so sicher vorausgesetzt werden kann, daß mit ihm bereits wie mit einem Besitztum gehandelt und ein Tausch mit seinem »trügerischen« Namensvetter in der Gegenwart apodiktisch als nachteilig bewertet werden kann. Auf dem Hintergrund andauernder Diskussionen um das Völkerrecht, die UNO-Charta und die darin niedergelegten Prinzipien des Umgangs mit Krieg und Frieden, im Hinblick aber auch auf die noch völlig unklaren politischen und sozialen Auswirkungen eines Waffengang im Irak ist es aufschlußreich festzustellen, daß Merkel an zentraler Stelle in ihrem Artikel - genau dort nämlich, wo der Krieg gefordert wird - sachliche Bedenken sowie das karge, aber deutliche Regelwerk der Charta der Vereinten Nationen vollständig ignoriert und ausschließlich innerhalb des Bildes argumentiert: nur den gewinnbringenden Umgang mit (metaphorischen) Ressourcen läßt sie als Maßstab erfolgreichen politischen Handelns sowie als dessen Rechtfertigung gelten. [weiter]