Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 12:41:01
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 09
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BIG NOTHING << zurückweiter >>
Marcel Duchamp

geboren 1887 in Blainville, gestorben 1968 in Paris

»Ich liebe die Risse, die Art, wie sie verlaufen, die Sprünge (...) In den Sprüngen steckt eine Symmetrie, beide Sprünge sind symmetrisch angeordnet und darin liegt mehr (...) fast eine Absicht, für die ich nicht verantwortlich bin, mit anderen Worten eine ready-made-Absicht, die ich respektiere und liebe.« Marcel Duchamps Haupt-werk, das »Große Glas«, wird zuletzt vervollkommnet durch den Zufall, bei einem Transport wird es beschädigt. Mit der Forderung nach der Abkehr vom rein Retinalen und der Aufgabe aller Gegenständlichkeit betreibt sein Werk das radikale Ende aller Malerei. An diesen Punkt gebracht, wandelt sich die Substanz des Kunstwerkes zum Konzept.
Duchamp hatte 1915 in New York mit der Realisierung seines »Großen Glases« begonnen und 1923 definitiv beschlossen, es unvollendet zu belassen. Eine Fotografie Man Rays dokumentiert den noch unzerstörten Zustand während seiner ersten öffentlichen Ausstellung in der »International Exhibition of Modern Art« 1926/27 in New York. Nach der Beschädigung ergänzt Duchamp 1934 das Werk durch die »Grüne Schachtel«, die in Faksimiles der Skizzen und Konzepte dessen intellektuellen Zusammenhang konserviert.
Den klassischen Topos des Bildes als Fenster zur Welt ironisiert Duchamp durch das populäre Motiv des Schaufensters. In dessen transparenter Fläche wird die Ebene zur räumlichen Perspektive und gleichzeitig das abgebildete Objekt zur Fiktion – jegliche Illusion betreibt immer bereits ihre eigene Desillusion. Entsprechend bleibt auch der Titel ein unlösbares Puzzle. Die sexuellen Anspielungen auf existentielle menschliche Erfahrungen wandelt Duchamp zum intellektuellen Spiel. Seine »Liebesmaschine« bleibt unauflösliches Begehren, denn das Begehren ist Motor und Ziel des Begehrens selbst und gefriert damit im Stillstand.
Der Beschreibung des Unbeschreibbaren widmet sich Duchamps Wortschöpfung »inframince«. »Inframince« ist das Geräusch, das eine Samthose beim Gehen macht, wenn ihre beiden Beine aneinanderreiben, »wenn der Tabakrauch auch nach dem Mund riecht, von dem er kommt, heiraten die zwei Gerüche durch den inframince«, aber auch das »Malen auf Glas gesehen von der unbemalten Seite ist inframince«. Inframince ist das »Mögliche, das das Werdende einschließt – der Übergang vom einen in das andere findet im inframince statt«.