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Magisches Denken II

Author:   Christoph Pingel  
Posted: 16.09.2002; 09:08:28
Topic: Magisches Denken II
Msg #: 28 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 27/29
Reads: 2954

CDU-Parteivize Christian Wulff gibt in der Berliner Zeitung (genaueres hier) eine bemerkenswerte Begründung dafür, daß das Thema Zuwanderung in der letzten Rolle des Wahlkampfes hochgekockt werden soll:

»Es wäre naiv, das Thema Zuwanderung nicht anzusprechen. Es gibt unübersehbar einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und internationalem Terrorismus.«

Das ist genau jene Art von gefährlichem Schwachsinn, dessentwegen man sich mal anschauen sollte, ob die CDU überhaupt noch eine verfassungskonforme Partei darstellt. Unübersehbar? Genau wie das Wörtchen »offensichtlich« ist das ein Hinweis darauf, daß man etwas genauso übersehen könnte (etwa jenen Zusammenhang), aber es steckt noch mehr dahinter. »Unübersehbar« ist hier eine Art sprachlicher Nebelwerfer: fehlte das Wort, dann müßte der Satz beim Leser unweigerlich die Frage aufwerfen »Welchen denn?«. So aber schiebt er seien Widerspruch für einen Moment beiseite, um für einen Sekundenbruchteil darüber nachzudenken, ob er nicht vielleicht doch etwas übersehen haben könnte.

Nachdem dieser Sekundenbruchteil vorüber ist, fragen wir nun erst recht: Welchen Zusammenhang gibt es denn zwischen Zuwanderung und internationalem Terrorismus? Sind die Täter zugewanderte? Von den Terroristen der Atta-Gruppe kann man das in der Regel nicht sagen. Studienaufenthalte im Ausland werden gewöhnlich nicht mit der Absicht der Migration angetreten. Allenfalls könnte man einen Zusammenhang im Sinne von Wittgensteins »Familienähnlichkeit« annehmen - die Phänomene Zuwanderung und internationaler Terrorismus sind durch einen gemeinsamen Zusammenhang mit einem Dritten verbunden, sagen wir mal der Tatsache, daß Ausländer beteiligt sind. Aber das ist nicht besonders aussagekräftig, ebensogut könnte man einen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Welthandel oder Welthandel und internationalem Terrorismus statuieren und hätte nichts gesagt.

Christian Wulff ist ja ein ganz schlauer, und auch ein Schuß Demagogie geht ihm nicht ab. Er weiß ja, daß seine Leser und Zuhörer voraussetzen müssen, daß er mit »Zuwanderung« ein Problem hat, ja, daß die Zuwanderung das Problem *ist*. Wenn er nun an prominenter Stelle den internationalen Terrorismus mit der Zuwanderung in Berührung bringt, dann stellt sich beim Leser - und das ist durchaus beabsichtigt - der Eindruck ein, an der Zuwanderung sei vor allem der internationale Terrorismus problematisch, ja, sie spiele in diesem Zusammenhang möglicherweise ein kausale Rolle. Während er also den vermeintlich neutralen Terminus des »Zusammenhangs« gebraucht, vermittelt er - durch den Kontext und die Reihung der Sätze - den Eindruck eines Ursache-Wirkung-Verhältnisses.

Da ist glücklicherweise überhaupt nichts dran. Nicht mal im Sinne einer notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung (etwa des Wirkens von islamischen Terroristen hier im Lande) ist Zuwanderung »ursächlich« für das in Frage stehende Phänomen; die Leute können, wie schon gesagt, auch z.B. als Studenten, als Asylbewerber oder auf illegalem Wege nach Deutschland kommen. Versteht man unter Zuwanderung ganz allgemein das Phänomen der multikulturellen Gesellschaft (etwa daß es in Köln ein Moschee gibt) und der damit verbundenen ideologischen Gefahren (daß in einer Moschee der heilige Krieg gepredigt wird), so muß sich Herr Wulff darüber belehren lassen, daß diese Art von Gesellschaft in den meisten westlichen Ländern bereits unwiderruflich etabliert ist. Wollte man diesen Umstand wiederum kausal aufrollen, so landete man schließlich bei der Frage, warum um alles in der Welt der Westen unbedingt fremde Länder erobern und/oder mit ihnen Handel treiben mußte. Auf eine solche Diskussion wollte Herr Wulff sicher nicht hinaus.

Was auf den ersten Blick eine Familienähnlichkeit ist, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als »magisches Denken«: Weil Zuwanderung sich im Hinblick auf die Beteiligung von Ausländern mit dem Phänomen des internationalen Terrorismus »berührt«, folgert der nicht aus seiner magischen Phase Entwachsene auf eine Kausalbeziehung. Zuwanderung wäre dann die Voodoo-Puppe, die man beschädigen muß, um dem internationalen Terrorismus eins auszuwischen. Diese Mischung aus Infamie und Kindergarten darf nicht politikbestimmend werden.