Ma Yingli, Filmemacherin, geboren 1965 in Nanjing,
lebt und arbeitet in Berlin und Peking


⁄⁄ From Beixin Qiao to Tiantong Yuan, 2006 Video

Yvonne Ziegler: From Beixin Qiao to Tiantong Yuan - Wie man in den neuen Wohnvierteln zu Leben versteht

Auf den Wegen zwischen den neuen hochgewachsenen Wohnhäusern und der breiten autobefahrenen Straße suchen sie, Song Shiyuan und seine Frau Zhu Guiqin, nach Resten ihrer alten Heimat - begleitet von Ma Yingli, der fragenden Stimme hinter der still aufzeichnenden Kamera. Doch die Hofhäuser des Tu Er Hutong im Herzen Pekings sind alle verschwunden. Stück für Stück wurden sie dem Erdboden gleichgemacht. In einem der letzten stehen gebliebenen alten Bäume meinen sie doch noch den eines früheren Nachbarn zu erkennen. Kindheitserinnerungen werden wach, wie sie als Kinder ehemals auf die Bäume ihres Garten geklettert und Früchte gepflückt haben. »Solche Bäume kann man heute nicht mehr finden.« In der Nähe erinnert eine Gedenktafel daran, dass der Tu Er Hutong bereits in der Ming Dynastie (1368-1644) erbaut wurde und dass der daneben stehende hohe alte Baum gleich alt wie der Hutong ist. Dann folgt eine Autofahrt zu den neuen Wohnvierteln am nördlichen Rand der Stadt, vorbei an Baustellen, wo Bagger an Bagger gereiht schaufeln, und riesigen auf Pfeilern ruhenden Straßen, die ins Nichts führen. Gleichförmige Siedlungen, aus westlicher Sicht steril anmutend, mit Gittern umzäunt, nur das zentrale Eingangstor steht offen. Dann ältere Wohnanlagen, die bereits begrünt sind. »Schlafstädte«, in denen es dreierlei in Mengen gibt: »viele Kinder, viele Senioren und viele Hunde«.
Das Rentnerehepaar, dessen Familie seit Generationen im alten Stadtkern Pekings lebt, hatte 2001 lediglich einen Monat Zeit, um sein Hofhaus zu räumen, dann wohnte es verstreut bei Verwandten, bis es hier, 25 km weiter im Norden Pekings, jenseits der 5. Ringstrasse, eine im Vergleich zum Hofhaus sehr viel komfortablere und größere schöne Erdgeschosswohnung fand. Für eine vergleichbare Wohnung im Zentrum reichte die Abfindung allerdings nicht. Wieder sind es die Bäume und Pflanzen, die wichtig sind. Sie sind sofort nach dem Einzug gepflanzt worden und werden jeden Tag gehegt und gepflegt. »Es gibt keine schlechte Umgebung, lediglich eine, die Sie nicht zu bewältigen verstehen. Sie können jedoch die Umgebung, in der Sie leben, verschönern«, meint Song Shiyuan gelassen. Trotz Zwangsumsiedlung und Entwurzelung sind die beiden nicht unglücklich, denn ihr Lebensstandard hat sich verbessert und sie versuchen ihre alte Lebensweise am neuen Ort weiter zu pflegen: Dazu gehört der Garten, die Gespräche mit den neuen Nachbarn und den Leuten, die auf den Plätzen vor den Häusern Gymnastik machen und sich auf einfachen Fitnessgeräten in Bewegung halten. Zum Mittagessen kommen die neuen Nachbarn, die eine ähnliche Geschichte haben. Es wird zusammen gegessen und anschließend Mahjong gespielt. »Ich versuche die Atmosphäre des alten Peking zu schaffen. Dabei möchte ich allen das Gefühl geben, wir würden noch immer in den alten Hutongs leben«. Heiter und gelassen spricht Zhu Guiqin weiter: »Der innere Friede rührt von der Geduld und Toleranz des Einzelnen. Man sollte immer Zuversicht und Vertrauen haben. Selbst als Bettler sollte man Vertrauen haben«.
Mehrere Tage begleitet Ma Yingli das Ehepaar und zeigt im Film dann einen Tag, der vom morgendlichen Gebet bis zur abendlichen Entspannung auf der Fernsehcouch dauert. Es gelingt ihr, dabei zu sein, ohne den Lebensstrom zu verändern. Die Kamera hält sie immer nur so dicht wie nötig, um den Sprechenden nahe zu sein, ohne Ihnen zu nahe zu treten. Mit großer Selbstverständlichkeit und Ungezwungenheit erzählen die beiden daher auch von ihrem Leben, zeigen die Gäste ihre Freude hergekommen zu sein und antworten Hinzugekommene auf Ma Yinglis zurückhaltende Fragen. Es wird Nacht, der gemeinsame Tag endet. Ein Fußbad mit Pflanzenwurzeln, die Katze daneben, so beschließen die Beiden ihren Tag. Zhu Guiqin erklärt, dass nach der buddhistischen Lehre, Ausruhen und Entspannen zur gesunden Lebensführung gehören, da dies zu innerer und geistiger Gelassenheit, zu Kraft und Energie führe. Eine Haltung, die sichtbar und spürbar ist.

Kamera: Di Shen; Ton: Wang Dilai; Schnitt: Ba Jianfeng
Dank an: Zhu Guiqin, Song Shiyuan, Wang Xiaodong, Zhang Liang, Xu Jian, Wu Hao, Fu Kang, Jan Kern, Zeng Jian, Dreamfactory

Werke in der Ausstellung: From Beixin Qiao to Tiantong Yuan, 2006, Video, Farbe, Ton, 40 min; Leihgabe der Künstlerin



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