Peter Weibel
Editorial

Die Ausstellung MindFrames zelebriert ein einzigartiges »setting«, nämlich eine geografische und zeitliche Situation, in der sich eine Mischung von brillanten Avantgardefilmern und Videokünstlern unter der Leitung eines Medienvisionärs zusammenfand, um an einer Universität erstmals eine Abteilung für Medienkunst einzurichten.

In einer Zeit, in der es noch keine Hochschulen gab, die sich explizit einer Kunst der Medien widmeten und gleichzeitig auch deren theoretische Analyse zum Bestandteil ihres Curriculums machten, hat Gerald O'Grady 1973 das Department of Media Study an der State University of New York at Buffalo [SUNY, Buffalo] gegründet. Das gesamte Spektrum der Medienkunst – vom fotografischen Bild zur Diainstallation, von der Musik zu Film- und Videoperformance, vom Film zur Filminstallation, vom Videotape zum Video-Environment, von der Computergrafik zur interaktiven Installation – wurde dort in den 1970er und 1980er Jahren von den mittlerweile kanonisierten strukturalistischen Avantgardefilmern Hollis Frampton, Tony Conrad und Paul Sharits, dem Dokumentarfilmer James Blue, den legendären Videokünstlern Steina und Woody Vasulka sowie Peter Weibel erforscht, verwirklicht und gelehrt. Dabei wurde auch die gesellschaftliche Rolle der Medien, besonders die des Fernsehens, und deren partizipatorische Möglichkeiten erkannt und für künstlerische, teils auch politisch-demokratische Projekte genutzt. Alle Mitglieder der Buffalo Faculty waren nicht nur praktizierende Künstler, sondern auch imstande, in Vorträgen, Essays und Publikationen die künstlerischen Entwicklungen und Fragestellungen ihrer Medien theoretisch zu begleiten. Die Bedeutung des Department of Media Study ist daher für das Zeitalter der Medien vergleichbar mit anderen historischen Kunstschulen wie dem Bauhaus, der WChUTEMAS in Moskau und dem Black Mountain College in North Carolina. Der Titel MindFrames deutet an, dass in dieser Zeit [1970er und 1980er Jahre] und an diesem Ort [Buffalo] ein Referenzrahmen für Medienkunst gesetzt wurde. In dieser Zeit sind Meisterwerke entstanden, die von der Wahrnehmungsproblematik bis zur Maschinenästhetik, von Sprachspielen bis zu mathematischen Strukturen, Horizont und Standards des visuellen Codes und des Mediendiskurses geliefert haben.

Der Triumph der installativen Videokunst in den 1990er Jahren mit ihren multiplen Projektionen ist nicht denkbar ohne die Voraussetzungen, die der Avantgardefilm in den 1960er und 1970er Jahren dafür geschaffen hat. Die Pioniere der Projektionskunst haben die formalen und materialen Strukturen des kinematografischen Apparates veranschaulicht, die Selbstreflexion des Mediums, die davon abgeleiteten Erweiterungen der Filmform und die Erkundung der Eigenschaften des elektronischen Bildes vorangetrieben.

Die Ausstellung erfüllt aber nicht nur die klassische Mission des Museums, kulturelles Gedächtnis zu sein, sondern ist zugleich auch ein Ausblick. Die gegenwärtige Debatte um »Art and Academy«, also um die Neugründung von Kunstakademien, zeigt uns eine gewisse Verunsicherung, wie es in Zukunft mit der Kunst weitergehen soll. Akademien erhalten in dieser Diskussion einen neuen Stellenwert als Orte nicht nur der Ausbildung zur Kunst, sondern auch als Orte der Produktion von Kunst. Wir erkennen, dass die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht nur eine Geschichte der Individuen, sondern auch von Institutionen ist. Akademien haben Geschichte gemacht, indem sie geschichtlich wirksamen KünstlerInnen einen Rahmen und Ort geboten haben.

Lehre, Ideen und Konzepte der damaligen Zeit erschließen sich über die eigens für die Ausstellung konzipierte Architektur, ein StudioLabor, das es ermöglicht, die zeitbasierte Kunst des bewegten Bildes in neuartiger Form zu studieren und zu empfinden. Als digitales Archiv werden zahlreiche künstlerische Produktionen, theoretische Texte, Fotos, Dokumente, Interviews etc. der KünstlerInnen zu Studienzwecken zugänglich gemacht. Das Archiv ist die Grundlage für eine Neuorientierung im Augenblick, wo die Medienfrage durch die Web 2.0-Revolution neu gestellt wird. Es hilft, sich der Grundlagen zu vergewissern, auf denen die Medienkunst basiert, bevor entschieden wird, wie es weitergeht. Die Ausstellung am ZKM wird erstmals einen umfassenden Einblick in die Periode der 1960er bis 1980er Jahre geben, die für die weitere Entwicklung der Medienkunst so entscheidend war und bis heute stilprägend ist.