Author:   Heike Borowski  
Posted: 11.11.2005; 17:35:10
Topic: Turrell Werk
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  James Turrell

Biografie


Atlantic Charge, 1988
Installation
Sektion C Lichtambiente

Maße Variabel
[mindestens 4,43 x 8,74 m, maximal 9 x 14 m]
Holz, Glühlampen, Leuchtstofflampen
Courtesy Galleria Massimo Minini, Brescia

Mitte der 60er Jahre begann sich vor allem im Westen der Vereinigten Staaten eine Kunstrichtung zu etablieren, zu deren Bildung in nicht unerheblichem Maß die klimatischen, landschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Bedingungen beigetragen haben, wie sie gerade für den kalifornischen Raum typisch sind – Bedingungen, die zur experimentellen Untersuchung von Erfahrungen mit Licht, Raum und Wahrnehmung geradezu herausforderten. Der 1943 geborene James Turrell zählt gemeinsam mit Robert Irwin, Larry Bell und Douglas Wheeler zu den wichtigsten Vertretern dieser Kunstrichtung, für die sich die Bezeichnung »Light and Space« durchgesetzt hat. Vor allem James Turrells Name steht für eine ungewöhnliche Bandbreite künstlerischen Schaffens, das Naturprojekte ebenso umfasst wie Projektionen in geschlossenen Räumen und architektonischen Arbeiten. Was sein Werk jedoch besonders hervorhebt, ist die Ausrichtung auf die Synthese von Materialität und menschlicher Präsenz, und hier insbesondere der Einbezug psychologischer Wahrnehmungsprozesse.
Betritt der Besucher die Installation »Atlantic Charge«, scheint er sich zunächst in völlige Dunkelheit zu begeben. Sobald sich die Augen an die Finsterniss gewöhnen, vernimmt er einen vermeintlich im Raum schwebenden Leuchtkasten. Noch deutet nichts darauf hin, dass sich der Betrachter, sobald er seinen frontalen Standort verlässt, mit einer völlig neuen Lesart von Dimensionalität konfrontiert sehen wird: Die Seitenflächen des dreidimensionalen Objekts verkürzen sich weder in der in der bekannten Form, noch scheint dieses gemäß der Erwartung fest umrissen zu sein. Die begehbare Rauminstallation aus dem Jahr 1988 ist ein geschickt herbeigeführter Wechsel zwischen Illusion und Wahrnehmung, ein ungewohntes und intensives Sehereignis, das, wie viele von Turrells Arbeiten, dem Betrachter ein perspektivisches Denkspiel aufgibt. Nicht selten geht das Vermögen, Distanzen einschätzen zu können mit dem Verlust des Zeitgefühls einher, und tiefe Irritation bis zur Orientierungslosigkeit ist die Folge, wenn erlernte Wahrnehmungsmuster und Sehgewohnheiten nicht mehr anwendbar sind und zu keiner Erklärung führen. Es ist gerade die scheinbare Eindeutigkeit der Mechanismen und der klare Bezugskontext der einzelnen Komponenten, die im krassen Gegensatz zu der Erkenntnis stehen, dass das, was wirklich gesehen wird, vom Betrachter selbst abhängt.
Das bloße Wahrnehmen als gestaltende Fähigkeit zu erkennen, ist eine Besonderheit dieser Arbeit.
hb