rauschendes licht
die transformation von echtzeitdaten in eine interaktive lichtskulptur
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brigitte kowanz


aus: Kunstforum Band 141, Juli - September 1998, Seite 408, Austellungen

Renate Puvogel: Brigitte Kowanz

"Die Zwischenzeit vom Schattensprung belichten"

Hochschule für angewandte Kunst, Heiligenkreuzerhof, Wien, 30.4. - 29.5.1998


kowanz_1.jpg: Ausstellungsansicht Heiligenkreuzerhof, Hochschule für Angewandte Kunst, Wien Ausstellungsansicht Heiligenkreuzerhof, Hochschule für Angewandte Kunst, Wien

kowanz_2.jpg: Morsealphabet, 1998, Neon, Gipskarton, 840 x 300 cm Morsealphabet, 1998, Neon, Gipskarton, 840 x 300 cm

In dem Werk von Brigitte Kowanz ist Licht nicht nur Medium und Material, sondern es ist zentraler Gegenstand ihrer Überlegungen. An der von Uli Bohnen 1991 konzipierten Ausstellung mit dem Titel "Transparenz - Transzendenz" hatte auch Kowanz teilgenommen. Diese Begriffskombination eignet sich zur Charakterisierung ihrer Arbeiten besonders, weil sie deren Doppelwertigkeit hinlänglich zu fassen vermag. Denn Licht ist eine physikalische Erscheinung, welche zugleich metaphysische Fragen aufwirft. Ein Blick auf das bisherige Werk der inzwischen 42jährigen Wienerin zeigt, wie vielfältig ihre Vorgehensweisen, wie unterschiedlich ihre Ansätze sind, mit der Perspektive, daß es sich weiter vertieft und letztlich als unauslotbar erweisen wird. Kowanz führt Licht als elementare Grundlage des Sehens überhaupt vor, als Energie- und Lebensquelle und als Körper, sie zeigt es in seinen Aufgaben und seiner Wirkung, als bildliches wie sprachliches Konstrukt.

Um dieses kompliziert-komplexe Spannungsfeld zwischen sprachlicher zu bildlicher Darstellung kreisen die zwischen 1986 und 1998 entstandenen Arbeiten in dieser Ausstellung. Dabei läßt sich die Umsetzung von Licht in skripturale Form anhand von Buchstaben und Zahlen oder deren kodierte Ausbringung veranschaulichen, während sich die bildliche Gestalt einer solchen Möglichkeit entzieht, es sei denn, man setzt, wie Kowanz es tut, auf die sprachliche Übereinkunft und überträgt sie zurück ins Visuelle. Das Arsenal der kodierten Zeichen bilden die 26 Buchstaben des Alphabets und die Ziffern von 0 bis 9. Kowanz bedient sich des bekannten Morse-Alphabets, einer von dem Maler und Erfinder Samuel Morse entwickelten Kodierung des Alphabets in Gestalt von Punkten und Strichen. Mit dem von Morse 1838 erfundenen elektromagnetischen Schreibtelegraph war er erstmals in der Lage, Nachrichten über große Entfernungen zu übermitteln. Kowanz läßt auf ihre Weise an die großartige Erfindung Morses erinnern, mit der seinerzeit das Zeitalter der weltweiten Nachrichtentelegraphie eingeläutet wurde. Wer hätte voraussehen können, welche Auswirkungen dieser erste Großversuch einer digitalen Technik bis hin zum Computer zeitigen würde.

Brigitte Kowanz benutzt Morsezeichen, um mit deren Hilfe solche Worte und Sätze zu 'schreiben', die selbst vom Phänomen Licht handeln, so etwa die Worte Lux, Lumen, Leuchten, Lighting und Sätze wie "Licht ist was man sieht" in der Abkürzung "L.I.W.M.S". Das Licht selbst bringt diese verbal gefaßten Bezeichnungen und Behauptungen hervor, indem eine weiß leuchtende Neonröhre sie schreibt oder indem sie als freigelegte Kreisfläche (Punkt) oder Rechteck (Strich) aus einer mit schwarzem Lack überzogenen Leuchtstoffröhre hervordringen können. Damit wird die Äußerung in Licht rückübersetzt, sie erscheint damit doppelt, so daß in einer Art tautologischem Verfahren verbale und optische Formulierung in eins fallen.

Kowanz hat das ehrwürdige Barockensemble des Heiligenkreuzerhofes so genutzt, daß seine architektonischen und malerischen Schönheiten keineswegs verdeckt werden, sondern eher ihren Part spielen können. In den einzelnen Räumen kommen unterschiedliche künstlerische und philosophische Fragen zur Sprache. Vor allem hat sie die Werke innerhalb der Raumabfolge geschickt zu einer dramaturgischen Gesamtinszenierung gestaltet; sie hebt als Introduktion mit einer didaktisch klaren Aufreihung des Morsealphabets an, steigert die Szenerie mit Einzelstücken, die die Breite ihres Vokabulars vorführen, läßt es im Festsaal zum Höhepunkt kommen, indem sie die schwarzweißen Lichtspiele mit farbigen Lichtmalereien anreichert. Danach schiebt sie dem Sinnenrausch schwere Gedankenkost nach, um zum Schluß mit einem geistreichen Aperçu zu enden.

Daher erweist sich die Gliederung auch für eine Interpretation als geeignet. Den Auftakt in Raum A markiert das "MORSEALPHABET" (1989); Kowanz bringt die normalerweise vertikale Anordnung der Buchstaben in eine horizontale, was den Raumdimensionen entgegenkommt und der europäischen Schreibrichtung von links nach rechts entspricht. Die lichten, aus weißen Neonröhren konturierten Lichtzeichen heben sich körperhaft von den schwarzen Intervallen ab, der Hell-Dunkelrhythmus nimmt sich wie eine Klaviatur aus, ein Vergleich, welcher auch die akustische Wahrnehmungsfähigkeit einschließt. Er bestätigt sich angesichts der senkrechten, an Orgelpfeifen erinnernden Röhren der Arbeit "Lighting" im Hauptraum. Dort taucht auch das Alphabet wieder auf, allerdings ist es nun kreisförmig zum Sonnenrad angeordnet. Überhaupt erleichtert die Methode der Künstlerin, einzelne Arbeiten durch das Wiederaufgreifen von Motiven, Materialien und Titeln miteinander zu verzahnen, das Verständnis.

Mit der Rauminstallation "LUX" von 1998 in Raum B schlägt Kowanz eine Brücke zu anderen ihrer Werkbereiche, bei denen sie Spiegel und Projektionen einsetzt. Die Lichtquelle deckt sich hier nicht mit den Lichtzeichen, vielmehr beleuchten Halogenlämpchen drei Glasstäbe, auf die drei Morsezeichen als Spiegelflächen appliziert sind. Durch die intensive Lichtreflexion werden die Konturen der Spiegel verunklärt, doch der Verlust an Lesbarkeit der Sprachzeichen wird durch deren vielfältige Spiegelungen auf die Wände, die den gesamten quadratischen Gewölberaum in ein malerisches Licht tauchen, wieder wettgemacht. Das Geschriebene stellt sich als Raumlicht selbst dar.

Raum C: Die Titel werden zunehmend kompliziert und zur Decodierung der Stücke hilfreich, besonders dann, wenn Kowanz einer Arbeit mit deutschem Titel eine weitere englische Version danebenhängt. Doch ein Titel wie "Light is what we see" läßt sich letztlich ebenso wenig erschöpfend aufschlüsseln wie der Titel der gesamten Ausstellung. Was wir sehen, ist nicht nur das Licht der Quelle, sondern das Licht seinerseits macht die Dinge seiner Umgebung erst wahrnehmbar; diese werfen Schatten, zwischen Gegenstand und Schatten klafft eine Lücke, ähnlich jener zwischen Lichtquelle und Gegenstand, es ist eine Lücke der Sichtbarkeit, ein Bruch, der sich möglicherweise durch Vorstellen oder kognitive Anstrengung überspringen läßt. Bezieht man die vierte Dimension Zeit mit ein, dann scheinen sich Lux und Lumen zu berühren.

Im Festsaal kommt es zum Dialog zwischen röhrenförmigen schwarzweißen Objekten und farbigen Bild-Objekten. Durch letztere wird sozusagen der Malerei zugemutet, zwischen Lux und Lumen, physikalischer und metaphysischer Ebene zu vermitteln. Allerdings wird der Disput dadurch nicht einfacher, eher macht der hinzutretende Bereich Kunst die Werkaussagen vielschichtiger. Zwei großformatige, flache Leuchtkörper tauchen den Raum in ein diffuses Licht, in eine zwiespältige, zwischen Natur und Künstlichkeit gelegene Stimmung. Die zweiteilige Wandarbeit "Leuchten" von 1997 schimmert wie lichtes Wiesen- oder Wassergrün; besonders das atmosphärische Grün und der gespiegelte Titel läßt die Seerosenbilder von Monet assoziieren. Das andere Stück mit seinem ebenso poetischen wie theoretischen Titel "Es ist die mächtige Kraft der Elektrizität, die in allen Formen der Materie schlummert" (1998) und mit seinem ätherischen Himmelblau rückt dem Werk des amerikanischen Lichtkünstlers Dan Flavin näher. Ein solcher Vergleich kann deutlich machen, mit wie viel Bedeutung das Werk einer Europäerin inhaltlich angefüllt ist. Beide Künstler malen mit Licht, doch wo bleibt bei beiden die Malebene, wo ist die Farbmaterie auszumachen? Die Malerei geht in farbigem Glas auf, Farbe wird immateriell, Licht scheint mit Farbe identisch zu sein. In Kowanz Arbeiten täuscht die atmosphärische Wirkung über die banale wie technisch komplizierte Konstruktion der im wesentlichen aus Acrylglas, Fluoreszenzfarben und einer Lichtquelle gebildeten Körper hinweg, was gerade die untrennbare und unnennbare Doppelbödigkeit der Erscheinung kennzeichnet.

Es ist die Rede von der Beziehung zwischen Materialität und Immaterialität, zwischen Wahrnehmung und Erkenntnis, dieses ist vielleicht nicht nur antinomisch zu denken. Von diesem Verhältnis jedenfalls handelt der Text des Hauptstücks im folgenden Raum. Winzige Glühlämpchen liefern das Licht, damit man aus den aus Abdeckungen von Verteilersteckdosen herausgeschnittenen Buchstaben - in einem daneben hängenden Analogon sind es Zahlen - den folgenden Satz 'buchstabieren' bzw. 'entziffern' kann: "Den materiellen Netzen waechst stets auch ein analoges Gedankennetzwerk, neuronales Netzwerk zu - die moderne Struktur seines Metadenkbildes." Wenn man sich zunächst an die bewegten Zahlenreihen des Tatsuo Miyajima erinnert fühlt, so wird einem schließlich bewußt, daß Kowanz gänzlich auf die Bewegung von Lichtquelle oder Körper verzichtet; einzig das sehende und lesende Auge ist es, welches Bewegung herstellt.

Nach einer solchen intellektuellen, materiell kaum auffälligen, nahezu ephemeren Schwerstarbeit kriegt man als Ausblick noch eine knifflige Rechenaufgabe gestellt. Die bereits bekannte Aussage "Licht ist was man sieht" ist hier in einen Zahlencode übertragen, die Worte sind zum Addieren als handschriftliche Neonziffern untereinandergesetzt, und die Summe ist dann wiederum in Buchstaben gegeben. Buchstaben und Zahlen 'fallen buchstäblich in Licht', sind aber nur scheinbar identisch mit ihm. An Anfang und Ende ist das Licht. Daß Kowanz in den letzten Räumen nicht mehr auf den Morsecode zurückgreift, könnte darauf hinweisen, daß sie sich nun einem anderen Aspekt des Themas Licht widmen wird.