rauschendes licht
die transformation von echtzeitdaten in eine interaktive lichtskulptur
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walther ruttmann


Author:   wolfgang muench  
Posted: 09.04.2002; 15:56:37
Topic: walther ruttmann
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Sinfonie einer Grosstadt

Peter Cowie: Walther Ruittmann: Great Films of the Century

In: Films and Filming, London

Aus: home family


"Ein triumphales Monument"

Was immer auch die Gegner von "Berlin"in der Zeit nach der Uraufführung gesagt haben mögen - die Zeit hat Ruttmanns Film glänzend gerechtfertigt. Der Regisseur hat nämlich das heikle Problem gelöst, sein Originalkonzept von der Stadt als einer täglichen Sinfonie durchzuführen und gleichzeitig kommentierende Hinweise zu geben, die die Menschen lebendig werden lassen und an Fragen rühren, die heute noch umstritten sind. Er geniert sich nicht zu zeigen, daß die Prostituierten vormittags noch mehr zu tun haben als bei Nacht. Er schreckt auch nicht davor zurück, uns einen Selbstmord zu zeigen und dazu, noch kühner, die Blicke der Leute, die von einer Brücke nach dem ertrinkenden Mädchen starren; kalte Blicke, gemischt aus Neugier und Abscheu. Auf die Indifferenz wird wiederholt indirekt hingewiesen durch Aufnahmen von Kleiderpuppen in ihren Schaufenstern. Die Berliner gehen ihren Geschäften mit einem irritierenden Mangel an Interesse und Hingabe nach.

Die Routine ihres Lebens heißt Trambahnen nachlaufen, Sport treiben, abends tanzen gehen. Sie sind selbst Gefangene im Rhythmus der Stadt. (...) Es wäre freilich vermessen zu leugnen, daß die Faszination des Films vor allem im Stilistischem liegt. "Berlin" erscheint mir als der fließenste deutsche Film der zwanziger Jahre, außgenommen vielleicht Duponts "Variete". Die Bilder sind nicht statisch, ihre Komposition ist nicht ausgeklügelt. Trotzdem ist ständig eine Bewegung im Fluß, eine Bewegung im Bild wie eine Bewegung in der Kamera. Besonders wirkungsvoll sind die schnellen Montagesequenzen, die Ruttmann vor wichtige Markierungspunkte des Tages setzt: 8 Uhr morgens, mittags, mitternachts. Diese Passagen sind dermaßen beredt, das Ton (und schon gar Untertitel) fast gänzlich überflüssig wären. Der wunderbare Flair für Lichter und Schatten, der die meisten Ufa-Filme der Zeit auszeichnet, wird besonders in den Frühmorgen- und Nachtszenen spürbar.

"Berlin" bleibt ein triumphales Monument zur Ehre einer bestimmten Wachstumsphase einer riesigen, in sich selbst ruhenden Stadt, aber auch zur Ehre von Ruttmanns fester Überzeugung, daß der Film in erster Linie eine visuelle Kunst ist.

siehe auch:

Thomas Schadt im Interview zu Berlin. Sinfonie einer Großstadt

Rune Kreutz: Animation as Music