Author:   Kevin Wells  
Posted: 15.11.2002; 17:03:36
Topic: ARCHIV - WOHLTAT DER KUNST - THEMEN/FRAGEN 03
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DIE WOHLTAT DER KUNST << zurück010203weiter >>

Tracey Emin, »Just love me«, 1998, Neonröhren,
Elektrik, Acryl 38 x 114,4 x 6,5 cm











Cindy Sherman, »Untitled #299«, 1994,
Farbphotographie, 122 x 81 cm













Pipilotti Rist, »Blauer Leibesbrief«, 1992/98,
Videoinstallation (Farbe, Ton), Projektor Dimension
variiert mit der Installation, 8' 06" Loop














Cady Noland, »Eye candy«, 1993,
s/w Kopie, Klebeband, collagiert, 32,4 x 33 cm

Sammlung Goetz

Für die Münchner Sammlerin Ingvild Goetz bot die Auseinandersetzung mit den Werken junger und jüngster Kunst nicht zuletzt die Möglichkeit, sich dem Selbstverständnis der Generation der Töchter anzunähern. In diesem Sinne behandelt die Ausstellung die Frage: Was heißt es eigentlich, unter den Medienbedingungen der 90er Jahre als junge Frau erwachsen zu werden? Das konkrete inhaltliche Interesse der Sammlerin führte zu einer der weltweit konzentriertesten Sammlungen der Kunst der 90er Jahre. Indirekt lässt dies auch danach fragen, inwiefern sich die intellektuelle Physiognomie einer Sammlerin in deren Werken spiegelt. Ingvild Goetz, zuvor erfolgreiche Galeristin, hatte sich in den 80er Jahren vom Kunsthandel ab- und dem intensiven Sammeln von Kunst zugewandt. Das Kunstwerk als Ware tritt zurück, es wird um so mehr Medium der Wirklichkeitsdeutung.


Andere Unterschiede · Ein Gespräch von Matthias Winzen mit Ingvild Goetz (Auszug)

Matthias Winzen: Bevor Sie Kunstsammlerin geworden sind, waren Sie Galeristin. 1972 sind Sie aus der Schweiz ausgewiesen worden, und zwar wegen antischweizerischer Umtriebe.

Ingvild Goetz: Ja, ich hatte bei einer Eröffnung in meiner Züricher Galerie ein Happening mit Wolf Vostell veranstaltet. Vostell war zu der Zeit einer der profiliertesten politisch engagierten Künstler. Es ging damals um den Angola-Krieg. Die Aufständischen wurden mit brutaler Militärgewalt einfach erschossen, ein Abschlachten. Es gab dann die internationale Übereinkunft, dass keine Waffen geliefert werden dürfen. Einer der wenigen Staaten, die illegal Waffen lieferten, war die Schweiz, Waffen, die bei Bürli produziert wurden.
Bei dem Happening ging es darum, wie die Bürli-Aktien in ihrer Bewertung mit dem Kriegsgeschehen eng verbunden waren. Vostell legte Tageszeitungen mit Titelseiten der Weltkrisen auf dem Paradeplatz in der Stapelhöhe auf, die die jeweilige Kursentwicklung abbildete. Den Paradeplatz hatten wir für das Happening genehmigt bekommen. Das Auslegen der Zeitungen war der Polizei jedoch sofort suspekt. Die Idee war ursprünglich, die Zeitungen einen Tag liegen zu lassen, dann wieder in den Lastwagen zu packen, nach St. Moritz zu fahren, damit Schnee darüber fällt - die Leute vergessen, was eigentlich passiert ist, woher man seinen Aktiengewinn hat, was hinter dem Angola-Drama steckt usw. Die Behörden bekamen das mit und verboten daraufhin das Happening sofort. Wir mussten über Nacht alles wieder in den Lastwagen packen, wurden eskortiert und mussten mit dem 'Kunstwerk‘ nach Deutschland. Das war auch einer der Anlässe, mir die mündlich zugesicherte Aufenthaltsgenehmigung nicht zu geben. Einer der anderen Künstler, der den Skandal mit auslöste, war Cy Twombly. Die Neue Züricher Zeitung schrieb: 'Jetzt denken die, die Schweizer wären so blöd, dass sie glauben, dass Klo-Kritzeleien Kunst wären. Die will sich doch nur über uns lustig machen.‘ Daraufhin wurde jede Ausstellung besonders beobachtet. Die Fremdenpolizei wollte, dass ich die Schweiz verlasse. Daraufhin habe ich die Museen gebeten, ob die nicht ein Wort für mich einlegen könnten, was sie dann auch alle sehr engagiert gemacht haben. Aber es half nichts, ich musste die Schweiz verlassen.

MW: Wenn man aus den 1970er Jahren mit einem großen Sprung in die 1980er Jahre zu Mike Kelley geht oder in die 1990er Jahre zu Tracey Emin – von beiden befinden sich wichtige Arbeiten in Ihrer Sammlung –, ergibt sich da ein roter Faden? Interessiert Sie Kunst besonders dann, wenn sie ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld und den Anschein sozialer Harmonie provokant desillusioniert?

IG: Es gibt einen roten Faden, aber nur insoweit, dass hier Künstler den Finger auf die Wunde legen. Wolf Vostell und vielen Künstlern Ende der 1960er Jahre ging es um allgemein politische Probleme, die übrigens bis heute brisant geblieben sind: Wie geht der Westen mit der Dritten Welt um? Warum werden weiter aus Profitgier Waffen in Unruheherde geliefert? Der Unterschied zu Mike Kelley und Tracey Emin ist aber, dass der Ansatzpunkt heute viel persönlicher ist, auch wenn sich daraus dann grundsätzlich gesellschaftliche Infragestellungen ergeben. Kelley geht unter anderem von Kindheit und Schule aus, von Erinnerungen an von ihm besuchte, konkrete Schulen. Daraus ergeben sich Fragen, wie es in Schulen zugeht, wie brutal Kinder miteinander umgehen, wie man von der Gesellschaft, in der man lebt, behandelt wird, wie man sich durchsetzen muss. Tracey Emin thematisiert diese ganze sexuelle Verklemmung, es geht da vielmehr um das, was sie unmittelbar umgibt. Indirekt ist das sehr politisch, aber nicht unmittelbar an der Oberfläche der Arbeiten. Ich weiß gar nicht, ob Kelley oder insbesondere Tracey Emin überhaupt interessiert sind am großen politischen Geschehen.

[...]

MW: Sie haben einen roten Faden von Vostell zu Kelley angedeutet, eine Art anti-konformistische Wesensverwandtschaft. Noch deutlicher erscheint mir als Verbindungslinie, dass Sie zu verschiedenen Zeiten Vostell bzw. Kelley unterstützt bzw. gesammelt haben. Bevorzugen Sie die Kunst, die gezielt die gesellschaftliche Ruhe stört?

IG: Mein Mann und ich haben jahrelang gezielt die Dritte Welt bereist. Wir haben uns intensiv mit den religiösen Vorstellungen und politischen Fragen von Rassenzugehörigkeit und Geschlecht in den verschiedenen Weltregionen befasst. Wir in Europa oder Nordamerika scheinen das Glück zu haben, in einer verhältnismäßig ruhigen Welt zu leben, aber unter der Oberfläche ist unsere Welt nicht friedlich. Und deswegen muss man ständig an den Zuständen rütteln. Ich schätze es sehr, dass es eben Menschen gibt, die als Künstler ihre ganze Person einbringen, die es auf sich nehmen, all das zu zeigen, was nicht stimmt, aber ganz klar vorhanden ist.

[...]

MW: Sehen Sie diese Tabuverletzung als Hauptaufgabe heutiger Kunst?

IG: Die Kunst ist nicht nur da, um mit Tabus zu brechen. Darum sehe ich für mich im Groben zwei Bereiche. Einmal diese Tabuverletzung, die ich ganz wichtig finde, und dann ist da der andere Bereich der Kunst, in dem es um eine bestimmte Ästhetik geht, um die formal richtige Sprache zur jeweiligen Gegenwart. Diese Ästhetik verändert sich über die Generationen. Der Bereich der Ästhetik und der Formensprache ist eine selbständige Frage. Also, nehmen wir einfach mal die Malerei, nehmen wir Philip Taaffe. Da gibt es keine andere Aussage als das, was man sieht, wie er mit Ornamenten umgeht, wie er sie setzt. Oder Jonathan Lasker – eine neue Abstraktions-Variante ohne bedeutungsschweren Inhalt. Oder Matthew Ritchie, der seine eigene mystische Gedankenwelt in Malerei umsetzt. Fabian Marcaccio, der auf einem Bild zahllose Bildwelten mit unterschiedlichsten Facetten kreiert, und viele andere. Das gilt nicht nur für die Malerei, sondern auch für bestimmte Fotografen, die in meiner Sammlung vertreten sind. Das halte ich für einen ganz anderen, spannenden Aspekt, die Auseinandersetzung mit der Ästhetik, in der wir leben. Die grundsätzliche Infragestellung unserer sozialen Realität bis hin zum gezielten Tabubruch und die formale Untersuchung unserer Wahrnehmungswelt, das Ästhetische – das sind die beiden Bereiche der Kunst, die mich persönlich am meisten interessieren und meine Sammlung im Wesentlichen beherrschen. Natürlich gibt es noch eine große Anzahl von Themen in der Kunst, die aber für mich keine dominante Rollen spielen.

[...]

MW: Zwischen der generellen, letztlich modernen Weltverbesserungsutopie der 1960er und 1970er Jahre und den viel fragmentierteren, viel spezifischeren Gegenentwürfen heutiger kritischer Kunst scheint mir Mike Kelley so eine Art Brückenfigur zu sein. Bei Mike Kelley habe ich den Eindruck, dass bei ihm noch, im positiven Sinn, das alte Hippie-Ethos fortwirkt, was ich bei Paul McCarthy auch ganz stark sehe: Lauf nicht weg vor dem, was dich quält, wehre dich, befreie dich vom sozialisatorischen Druck der Körperformation, der sexuellen Verbote. Und zugleich gehört Kelley formal ganz klar in die 1980er und 1990er Jahre. Bei aller scharfen Kritik an der Repressivität kollektiver und massenmedialer Vorstellungen, die man bei Kelley erkennen kann, ist er sicher kein Utopist mit einem idealistischen Gegenentwurf.

IG: Ich nehme jetzt mal Sarah Lucas, Tracey Emin und Mona Hatoum. Deren Themen sind eigentlich direkt aus dem Leben gegriffen. Und die Hoffnung ..., nein, es ist vielleicht gar nicht einmal die Hoffnung, etwas zu verändern. Es geht vielleicht mehr darum zu zeigen, wie die Welt ist, und in aller Klarheit auszuhalten, dass die Welt so ist. Tracey Emin, die sehr dramatische Lebensgeschichten schildert, bildet noch nicht mal ein Urteil, sagt auch nicht, das müsste anders sein, sondern einfach: So ist es, das Leben. Sarah Lucas genauso, während ich manchmal bei Mike Kelley den Unterton heraushöre, das Schicksal hat ihm hart mitgespielt und es dürfte eigentlich nicht so sein. Mona Hatoum thematisiert als Palästinenserin auch das Leiden, aber in ihrer Kunst zeigt sie einfach, so ist der Mensch. Ihr eisernes Bett, auf das man sich nicht legen kann, das keine Ruhe gewährt, dieses fürchterlich unfriedliche Bild ist formal gesehen von konzeptueller Nüchternheit, von fast minimalistischer Strenge. Und das ist nicht wie bei Wolf Vostell, der betont Veränderung propagiert, sondern einfach: Schaut, so ist das Leben, ob wir es ändern können oder nicht.

[...]

MW: Sarah Lucas, finde ich, klagt an.

IG: Sie greift an. Sie baut diese Männerräume, die auf dieser billigen Heftchenebene zeigen, wie es abends in den Pubs abläuft. Wir machen noch schnell unsere letzten Witze über die Frauen, große Sprüche, und Sarah Lucas, so meine ich, sieht es ganz souverän: Ihr könnt mit euren Frauenfantasien gar nicht umgehen. Wenn Ihr aus dem Pub herauskommt, dann ist die Realität ganz anders. Sie nimmt die chauvinistische Aggressivität gegen das Weibliche so wörtlich, dass daraus ein Bildergefängnis männlicher Fantasie wird. Selbst bei dieser angriffslustigen Arbeit gibt es bei Sarah Lucas einen trockenen Unterton, der einfach sagt: So ist es, und nicht die didaktische Anklage.

MW: Viele Sammler konzentrieren sich auf Künstler, die etwas älter sind als sie selbst, oder auf Künstler ihrer Generation. Warum sind in Ihrer Sammlung neben bedeutenden Werken von weltweit etablierten Künstlern so viele junge Positionen, auch gerade der 1990er Jahre, vertreten?

IG: Mich interessiert eigentlich immer die jeweilige Generation. Nach und nach ergibt das einen Sammlungsbereich, den ich dann irgendwann zwar nicht abgeschlossen, aber vollständig genug finde. Mich interessiert brennend die jeweils neue Generation, und zwar aus dem reinen Egoismus, dass ich von den Jungen lernen möchte. Ich möchte nicht in dem Horizont stehen bleiben, in den ich einmal hineingesetzt wurde. Sonst denke ich nur noch in den Kriterien aus den 1960er Jahren und sage: Ach, die Generation ist überhaupt nicht politisch. Das höre ich natürlich von Leuten meiner Generation, und ich finde es langweilig. Ich möchte lieber in irgendeiner Form dabei sein, es miterleben. Gott sei Dank habe ich auch Kinder in diesem Alter, die halten einen mit der Musik und allem, was da passiert, auf dem Laufenden. Ich verstehe die Welt meiner Töchter auch besser, wenn ich die Kunst und die Künstler dieser Generation kennen lerne, verstehe, wie sie sind, wie sie leben, was sie beschäftigt.

MW: Was lernen Sie konkret von der Kunst, die Sie sammeln?

IG: Ein Lebensgefühl, ein Zeitgefühl, das in den 1990er Jahren z.B. beim Ausgehen ein ganz anderes ist als früher. Wenn ich heute in eine Diskothek gehe und sage: „Ach Gott, zu meiner Zeit wurde man aufgefordert, man tanzte gemeinsam“, dann ist es natürlich genau das, was meine Generation immer sagt: „Es ist ja schrecklich, wie autistisch die heute alle sind, tanzen allein vor sich hin.“ Aber vielleicht findet die Kommunikation auf einer ganz anderen Ebene statt, und jeder hat heute die Freiheit, mit jemandem zu tanzen, dann wieder wegzugehen. Es ist nicht mehr so wie zu meiner Zeit noch: Man muss einen Partner haben, und erst mit Partner ist man vollwertig. Als Frau konnte man nicht allein in ein Restaurant gehen. Heute gibt es dieses Selbstbewusstsein von jungen Männern und Frauen, die sich viel selbständiger bewegen. Eigentlich hat das heute fast nichts mehr damit zu tun, wie das Ausgehen früher ablief. Man kann schnell sagen, die sind heute alle narzistisch, die interessieren sich nicht mehr füreinander. Oder ich kann mir eine Arbeit wie Buzz Club von Rineke Dijkstra angucken und komme dann vielleicht darauf, wie sehr sich das verändert hat, ein Jugendlicher zu sein, und dass ich das nicht mit den Maßstäben meiner Jugend bewerten kann. Das finde ich spannend.
Als Kunstsammlerin wird man überhäuft mit Ankaufsvorschlägen von Kunstwerken, die Inhalte unterschiedlichster Couleur haben. In dem Moment, in dem ich mich öffne und mich mit ihnen auseinander setze, bekomme ich auch Verständnis für diese Themen. Aids müsste gar nicht mein persönliches Thema sein, aber durch die Kunst habe ich mich in einer so intensiven Form damit beschäftigt, wie ich das sicherlich normalerweise nicht machen würde. Ähnliche Themen sind Magersucht, Vergewaltigung, Ausgegrenztwerden, mit denen ich beginne, mich viel deutlicher zu beschäftigen, über die ich nachlese und frage, was ist das denn eigentlich, worunter leiden die, kann man was tun, kann man was ändern. Ich könnte das nicht sammeln, wenn ich mich nicht dafür öffnen würde.

MW: Wo wir gerade bei Vorurteilen zwischen den Generationen sind - Pipilotti Rist wurde zunächst vorgehalten, mit ihrer Videoarbeit samt begleitender Musik sei sie ein MTV-Girl.

IG: Schlimm ist es, wenn sich Künstlerinnen so gut eignen für solche Vorurteile. Sie kommen damit in ein Abseits, aus dem sie es schwer haben, wieder in eine künstlerische Akzeptanz hineinzukommen. Pipilotti Rists Arbeiten finde ich wirklich interessant, aber sie hat ja auch mit dieser Pop-Identität gespielt. Wenn man sich von den Medien so einfangen und vermarkten lässt, besteht die Gefahr, dass der eigentliche Inhalt nicht mehr so gesehen wird. Ich glaube aber, Pipilotti Rist hat das hinter sich gelassen.

MW: Thomas Schütte spielt eine wichtige Rolle in Ihrer Sammlung, Rosemarie Trockel auch, aber es dominieren für die 1990er Jahre angelsächsische, vor allem englische Positionen, und dabei wiederum Künstlerinnen.

IG: Ich glaube, dass in Deutschland deswegen nicht intensiv etwas passiert ist, weil wir in den 1980er Jahren so eine heile Welt hatten. Deutschland war so reich. Künstler sind in ihrer Generation zwar oft Ausnahmen, und Schütte ist bestimmt kein Mensch, der sich das Leben je leicht gemacht hat. Aber wenn ich insgesamt die Zeitstimmung bis in die frühen 1990er Jahre in Deutschland sehe, ist in dieser Zeit nichts Dramatisches passiert, während die englischen Künstler aus einer wirtschaftlich bedrohten Lage mit einer eher repressiven Regierung kamen, eine sehr problematische Generation, und ich denke, ohne diesen Druck kann auch so eine Kunst nicht entstehen. Und in Deutschland gibt es zwar bei den Jüngeren wieder mehr politisch begründete Kunst als in den 1980er Jahren, aber nichts Deutliches und Starkes.

MW: Dann hätte Margret Thatcher überhaupt irgendetwas Gutes getan.

IG: Ohne es zu wollen, für die Künstler sicherlich.

MW: Man kann es auch in Deutschland als neoliberale Veränderung sehen, dass die öffentliche Hand versucht, sich aus der Kulturverantwortung zurückzuziehen und aus durchsichtigen Motiven die Privatinitiative anpreist. Abgesehen davon – wie sehen Sie die Möglichkeiten und die Verantwortung einer privaten Kunstsammlung, die ja als Teilnehmer am Kunstmarkt und an der Kunstöffentlichkeit nie nur privat ist?

IG: Ich denke, dass privates Sammeln, wenn man eine Verantwortung darin sieht, an die Öffentlichkeit zu gehen, die Rolle übernehmen sollte, die Museen nicht mehr übernehmen können. Museen sind erst mal einer großen Menge verpflichtet, d.h. sie müssen Kunstwerke in irgendeinem repräsentativen Sinn zusammentragen, wodurch in den Museen oft so ein Flickenteppich entsteht. Ein Sammler hat die Möglichkeit, einen bestimmten Bereich abzudecken, sozusagen einen roten Faden in die Sammlung zu bringen und vielleicht ein paar Künstler oder Gruppen intensiver zu sammeln, d.h. er kann ein Konzept vorstellen. Und es ist interessant, das Konzept der Öffentlichkeit zu zeigen. Ein Konzept kann so sein wie bei Reiner Speck in Köln, der sagt, es gibt einen bestimmten Bereich in den 1960er und 1970er Jahren, der mich interessiert. Man kommt hinein, sieht eine harmonische Sammlung und fängt an, darüber zu reflektieren, was diese Künstler gemeinsam haben, was nicht. Es ist eine Herausforderung. Ein Sammler hat gegenüber einem Museum diesen Vorteil, nicht nur Kunstwerke der Zeitgenossen anzusammeln, sondern ein Konzept zu entwickeln. Wenn man auch noch die Möglichkeit hat, ein kleines Museum zu bauen, kann man seine Ideen, seine Programme vorstellen, kann man eine persönliche Vision mitteilen, zur öffentlichen Diskussion stellen. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, der Sammler produziert in dem Sinne, wie der Künstler produziert. So großartig würde ich das nicht sehen, aber der Sammler kreiert etwas Eigenes, was er der Öffentlichkeit vermitteln kann. Das können ganz unterschiedliche Ideen sein. Bei mir hat es sicher etwas Politisches, auch etwas Existentielles.
Und sicher fließen eigene Prägungen mit ein. Ich komme aus dem polnischen Korridor und habe in frühester Kindheit durch meinen damaligen Dialekt mitbekommen, wie schlimm es ist, nicht dazuzugehören. Dadurch bin ich sehr wachsam für das, was anderen Menschen geschieht, wenn sie irgendwie
anders sind. Ich möchte mit meiner Sammlung wach rütteln oder aufmerksam machen, und zwar nicht nur in einem politischen Sinn, sondern auch durch sehr gute, ästhetisch in sich gute Kunst. Die Museen bleiben heute durch ihren Etat zu museal, d.h. hier ein Stück, das man an die Wand hängt, da ein Stück, das davor gestellt wird. Sie haben nicht die Möglichkeiten, die Sammler haben, um Konzepte zu entwickeln.

MW: Wo sehen Sie Grenzen? Was sollte ein Sammler nicht tun?

IG: Ich finde Sammlungen spannend, in denen ich die Handschrift des Sammlers erkenne. Und ich denke, darin liegt auch ihre Stärke. Wenn der Sammler, wie die Museen, die der Öffentlichkeit verpflichtet sind, von jedem etwas – sozusagen Highlights – kauft, wird es langweilig. Der Sammler, der das kauft, was ihn persönlich irritiert und beschäftigt, kreiert durch die Sammlung wieder ein neues 'Gesamtkunstwerk‘. Und da wird es interessant. Er sollte keine Sammlung aufbauen, die nicht aus ihm heraus gewachsen ist. Ein bloßes Anhäufen von vielleicht wertvollen Kunstwerken, die aber keinen persönlichen Bezug haben, ist seelenlos.


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