Author:   Kevin Wells  
Posted: 31.08.2002; 18:29:37
Topic: ARCHIV - SCHWARZWALDHOCHSTRASSE - THEMEN/FRAGEN 03
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Thomas Ruff, Interieur 4A 1979
[Zell am Harmersbach], 27,5 x 20,5 cm



Cordula Güdemann, La deutsche vita, 2000/2001
Mischtechnik auf Leinwand, 280 x 500 cm

Das künstlerische Spektrum

Ein wichtiges, Generationen übergreifendes Motiv baden-württembergischer Künstler scheint zu sein, systematischen Sammler- und Tüftlergeist in der eigenen Kunstpraxis wiederzufinden und ihn spielerisch zum System sprengenden Extrem zu treiben, wie es Fritz Schwegler, Sabine Groß, Thaddäus Hüppi und Heiner Blum auf sehr verschiedene Weise tun. Mit konzeptueller Strenge untersuchen Karin Sander, Thomas Ruff und Georg Winter Strategien des Sehens und der Rezeption von Kunst, während Tobias Rehberger und Axel Heil die Verfügbarkeit von Bildern als Ausgangspunkt nutzen, von dem aus sie ihre hybriden Setzungen entwickeln. Im Grenzbereich zwischen genauer Beobachtung und präziser Fantasie siedeln auch Isabell Heimerdinger, Philip Metz, Simone Demandt und Enne Haehnle ihre Arbeiten an, die sich in unterschiedlichen Medien mit der Verortung des Individuums beschäftigen. Dass skeptischer Humor und melancholische Ironie mächtige kreative Antriebe sind, wird in den Werken von Patricia Waller, Markus Weber, Jürgen Drescher und Peter Zimmermann deutlich.

Die Gemälde von Thomas Bechinger, Erwin Gross, Anselm Reyle, Klaus Merkel, Cordula Güdemann, André Butzer, Simone Letto und Johannes Hüppi belegen die anhaltend intensive Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen Verhältnis von Farbe und Fläche, Realität und Erscheinung, die von Künstlern wie Rolf-Gunter Dienst, Peter Dreher, Dieter Krieg und Anselm Kiefer über Jahrzehnte thematisiert worden ist. Der Reichtum der malerischen Debatte zeigt sich auch in den konstruktiv-bildhauerischen Erweiterungen des Malerischen, etwa bei Alfonso Hüppi, Jörg Eberhard und Anke Pfisterer. Einen Gegenpol hierzu formulieren die körperhaften Setzungen von Karl Manfred Rennertz und Werner Pokorny. Erforschungen des realen Raumes bieten die direkt auf architektonische Situationen reagierenden Interventionen von Ralf Werner, ebenso wie die empirisch entwickelten Systeme Eberhard Eckerles, während für Daniel Roth und Peter Pommerer der definierte Raum als Einstieg in visionäre, eigenen Gesetzen gehorchende Welten dient.


KOMMENTARE

Glauben Sie, dass es einen sichtbaren Einfluss des Kunstklimas in Baden-Württemberg auf die Arbeiten baden-württembergischer Künstler gibt?


»Ja. Vielleicht gibt es in Baden-Württemberg mehr als anderswo einen bewussten Willen zur Rückständigkeit, zum Beharren, zur (im positiven Sinne) konservativen Ablehnung von Aktivismus und Dirigismus. Mehr als anderswo gehen Künstler auf Distanz zu den fortschrittlichen Strömungen /zum Mainstream – Stichwort: Soziologisierung der Kunst/Erlebniskunst/Crossover /Anpassung an die Aufmerksamkeitsökonomie/Kunst als "Hure". Einige dieser Unzeitgemäßen sind ja in Ihrer Künstlerliste vertreten«
Franz Littmann, Kunstkritiker, Pforzheim

»Muss man es als Ergebnis besonderer Schollenverbundenheit sehen, wenn Gabi Streile Spargelstangen als Stillleben-Sujet wählt? War dann Edouard Manet, der sich in seinem Spätwerk dem gleichen Gemüse widmete, Badener?«
Michael Hübl, Kunstkritiker, Karlsruhe

»Als zentrales Thema erkenne ich am ehesten die Auslotung eines malerisch gefassten Bildbegriffs, der zwischen kritischer Revision des Abstraktionsbegriffs der Moderne und einer nicht primär am Abbildhaften orientierten Gegenständlichkeit oszilliert. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch der hohe Stellenwert, welcher der Materialität des Malprozesses, der Selbstvergewisserung des Mediums durch die Vorführung des Akts der Malerei eingeräumt wird.«
Stephan Berg, Direktor, Kunstverein Hannover

»Das ist die vielgeschmähte Avantgarde der konzeptionellen Kunst und der Farbfeldmalerei mit Künstlern, die in Baden-Württemberg gearbeitet haben oder dort arbeiten: Lothar Quinte, Fritz Klemm, Thomas Kaminsky, Joseph Kosuth, Thomas Linder, Guang Yao Wu – Künstler der "peinture", die hier schon immer vorhanden waren, und eines denkenden Ansatzes.«
Gert Reising, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

»Spirituelle und esoterische Haltungen sind hierzulande überproportional ausgeprägt; daneben aber auch eine extrem rational-spekulative Richtung. Sichtbar wird der Einfluss im kabinetthaft Kleinen, Konzentrierten, Vereinzelten. Große Gesten, große Formate, großer Aufwand, großer Diskurs wandert anderswohin ab.«
Johann-Karl Schmidt, Direktor, Galerie der Stadt Stuttgart


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