Author:   Kevin Wells  
Posted: 25.06.2002; 15:20:25
Topic: ARCHIV - PROPHETS OF BOOM - KÜNSTLER03
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PROPHETS OF BOOM << zurückweiter >>

ZOE LEONARD, Mouth open, teeth showing
(I), 2000, Installationsansicht, Paula Cooper Gallery, NYC

Zoe Leonard

»In den Fotos, die Mitte der 80er Jahre entstanden, interessierte mich, wie menschliche Wesen die Dinge hinter sich lassen. Wir gehen unseren Geschäften nach, und das hinterläßt eine Spur. Ich fand es spannend, unsere Spur zu betrachten, sie von oben zu sehen. Ich war daran interessiert, was die von uns hinterlassenen Spuren über uns als Volk aussagen – unsere Architektur, unsere Straßen, die sehr kleinen, unberührten Flecken Land, die Art und Weise, wie Farmen aus der Luft aussehen, wie die Türkei oder Indien im Vergleich zu Europa oder Amerika aus der Luft aussehen… Es geht um die Macht des Sehens und die Macht einer subjektiven Wahrheit.«
(Aus einem Gespräch zwischen Anna Blume und Zoe Leonard · Januar/Februar 1997 · abgedruckt in: Zoe Leonard. Kat. Sessession · Wien 1998)

Bereits in den 80er Jahren war die 1961 in New York geborene Zoe Leonard mit ihren kritischen feministischen Arbeiten aufgefallen. Dazu gehören ihre Fotografien von weiblichen anatomischen Wachsmodellen oder ihre aus tiefem Blickwinkel geschossenen Aufnahmen von Models auf einem Laufsteg. Seit den 80er Jahren engagiert sich
die Künstlerin politisch als Mitglied von Act up (Aids Coalition to Unleash Power), in der feministischen Gruppe WAC (Women‘s Action Coalition) und den Künstlerinnenkollektiven »Gang« und »Fierce Pussy«. Dem Publikum in Deutschland liefert sie 1992 auf der Documenta IX in Kassel eine eindringliche Fotoinstallation. Darin kombiniert Leonard in der Neuen Galerie vorgefundene historische Frauenportraits mit Vagina-Fotografien, die auf Gustav Courbets »L‘Origine du Monde« von 1866 anspielen und in der aggressiven Verkehrung dessen sexistischer Metaphorik den Objektcharakter der Frau nicht künstlerisch geschönt, sondern als bloßen Fakt präsentieren. In unangenehmer Weise wird der Blick darauf gewendet, »daß unser Geschlecht«, so die Künstlerin, »überpräsentiert ist als etwas, was man betrachtet, jedoch unterrepräsentiert ist als etwas, was wir erfahren« und dies gelte beispielhaft für alle Bereiche des herrschenden Blickes des männlichen Establishments. In dem jüngeren Projekt »Mouth open, teeth showing« schließt Leonard an Aspekte der Mannequin-Fotografien an. Die Puppe, als weibliche Figur mit idealer Oberfläche und ohne Eigenschaften, steht als Objekt dem beliebigen Gebrauch zur Verfügung und definiert sich jeweils nur durch den, der sie für sich in Anspruch nimmt und mit einer fiktiven Identität belegt. »Mouth open, teeth showing« ist eine Installation, in der ein Heer kleiner, mehr oder weniger angezogener weiblicher Puppen den Boden eines Raumes ausfüllt und so zu einem Feld wird, durch das sich der Betrachter bewegt. Die Fragilität der einzelnen kleinen Figur verkehrt sich ins Monströse, sieht man die gesamte Zahl der aufgeladenen Objekte. Die in präziser Dramaturgie aufgestellten Püppchen spiegeln die Bandbreite kindlicher wie erwachsener Befindlichkeiten. Ähnlich Mike Kelleys Installationen aus abgelebten Stofftieren zeigen sich diese Objekte als ebenso vertraute wie nun befremdliche Speicher emotionaler Bedürfnisse, als beängstigend leblose und wehrlose Projektionsflächen unserer Begehrlichkeiten, deren Bild auf uns zurückfällt.

Diana Ebster


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