Author:   Kevin Wells  
Posted: 10.04.2002; 11:42:36
Topic: ARCHIV - DAS TIER IN MIR - KÜNSTLER 27
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DAS TIER IN MIR << zurückweiter >>

WOLS

Mit Fotografien, Zeichnungen, Gemälden und Radierungen eröffnet Wols (Alfred Otto Wolfgang Schulze, geboren 1913 in Berlin, gestorben 1951 in Paris) eine sarkastische Sicht auf die menschliche Existenz als Spielball nicht beherrschbarer Mächte. Natürliche Formen zeigt Wols nicht als Urordnung, eher als Urschleim der Schöpfung. In der Zeit um den Zweiten Weltkrieg, in der täglich durchlittenen Zerrüttung jeglicher Entwürfe und Selbstbestimmung, wird ihm Kunst zum Medium der Suche. Man kann »L´Arche de Noe« (1940) kaum als Bild hoffnungsfrohen Überlebens der Menschheit in göttlicher Bereitschaft zur Versöhnung auffassen, angesichts der menschlich verursachten Sintflut des gerade ausgebrochenen Weltkriegs. Ein Schiff mit skurriler
Takelage beherbergt Tiere, die der Wiederbelebung der Erde dienen sollen. Gazelle, Antilope, Elefant, Kamel,
Giraffe und Fuchs sind zu erkennen, aber auch Urtierchen, Amöben. Das Menschenpaar karikiert Wols als zwei Nachtschwärmer, armlos und handlungsunfähig, dem Unbill der Natur – und der Geschichte – ausgeliefert, er mit kess zurückgeschobenem roten Hut, zur Unkenntlichkeit zerschlagener Physiognomie und zipfeliger Hemdbrust, die kleinere Gestalt – eine Frau? – mit tiefschwarz geränderten Augen, lasziv geschürzten Lippen und organisch verquollenem Körper. Gleich schemenhaften Segeln an gebrochenem Mast wachsen beide aus einem Gefährt auf, dessen papierdünne Wände an die Umzäunung eines Lagers erinnern.
Wols erlebt zwischen September 1939 und Oktober 1940 eine Odyssee durch fünf Internierungslager. Mit Wols sind u.a. Hans Bellmer, Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Heinrich Davringhausen, Anton Räderscheidt und der Kunsthistoriker Max Raphael interniert. Wols’ späterer Frau Gréty gelingt es, Papier, Tusche, Aquarellfarben in die Lager zu schmuggeln. So stabilisiert sich inneres Überleben trotz beginnender Alkoholexzesse unter menschenunwürdigen Lebensbedingungen. Wols
arbeitet besessen an seinen Zeichnungen, vom Surrealismus und den Notaten Yves Tanguys angeregt, doch mit
eigenem, bizarr abgründigem Humor. Befreit durch die Hochzeit mit Gréty, zieht er sich nach Dieulefit zurück. Hier entsteht »La Reine des Grenouilles« (1942). Halb durchlichtete Zellakkumulation, halb anthropomorphes Sumpfgespenst, scheint die »Königin der
Frösche« den Betrachter zu fixieren mit fernem Ernst, unendlichem Wissen und unendlicher Macht. DT

Claus Mewes: Wols. Aquarelle, Zeichnungen, Notizblätter. Kat. Kunsthaus Hamburg 2000



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