Author:   Kevin Wells  
Posted: 10.04.2002; 11:40:02
Topic: ARCHIV - DAS TIER IN MIR - KÜNSTLER 23
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DAS TIER IN MIR << zurückweiter >>

PIERO STEINLE

Wer 1969 in der Galleria l’Attico in Rom die Ausstellung von Jannis Kounellis besuchte, fand in der weiß getünchten ehemaligen Garage zwölf lebende Pferde. Ihre dampfenden Leiber belebten für die Dauer der Kunstschau den Raum. Kounellis verstand diese Aktion als eine Dramatisierung der Malerei und damit der Kunst überhaupt.
»Dodici Cavalli Vivi / Zwölf lebende Pferde« – so der Untertitel – ließ im White Cube des Galerieraumes eine dichte sinnliche Erfahrung entstehen.
Gute zwanzig Jahre später zeigt Piero Steinle (geboren 1959 in München) seine Installation »Tierkörper«. Auch er liefert eine schockierend andere Erfahrung im Kunstraum: In den raumfüllenden Diaprojektionen seiner hochperfekten Schwarzweißfotografien sieht man ebenso Tiere in der vollen Präsenz ihrer Körperlichkeit – sie alle aber sind tot.
Seine Installation versuche, sagt Steinle, »eine Reise in die fremde animalische, uns ernährende und umgebende Körperwelt, sie sucht den Kontakt mit einem nahen fernen Universum: mit uns selbst«. Ausgehend von der Architektur als Ausdrucksträger, geht Steinle aus dieser Perspektive auf Räume fotografisch zu, untersucht deren praktischen Gebrauch wie ihre inhaltliche Besetzung. Der »exotische« Raum, in den er den Betrachter mit der Serie »Tierkörper« führt, sind die modernen Verarbeitungsanlagen von überflüssigen Tierkörpern in einer industriellen Gesellschaft.
In den Stilleben des Barock ist das tote Tier ein Memento mori und damit immer auch Spiegel unserer eigenen existentiellen Bedingungen als sterbliche Kreaturen. Wie schonungslos ein solches Memento mori am Anfang des 21. Jahrhunderts aussehen kann, zeigt Steinle mit der schockierenden Intensität seines dunklen Projektionsraumes und mit bewußtem Aufwand ästhetisierender Mittel. Das 60minütige Bildprogramm der Fotoinstallation wird durch ein akustisches Programm aus Originaltönen und elektronischen Tönen verdichtet.
Steinles Schwarzweißfotografien zeigen Rinder, Hühner, Schweine, Schafe. Er inszeniert die Körper isoliert vor schwarzem Grund, drapiert das tote Fleisch der Tierleiber zu eindringlichen Skulpturen und zeigt die leblosen Körper im Kontext des sachlich maschinalen Ambientes des industriellen Verwertungsbetriebes. Im Unort der Tierkörperverwertung prallen die Idealisierung und Sentimentalisierung des Tieres und die Bürokratisierung und Mechanisierung des Todes und dessen gleichzeitige Tabuisierung in unserer Gesellschaft aufeinander. DE



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