Author:   Kevin Wells  
Posted: 10.04.2002; 11:33:49
Topic: ARCHIV - DAS TIER IN MIR - KÜNSTLER 16
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DAS TIER IN MIR << zurückweiter >>

Marcus Weber

MARKUS WEBER

Die Affen von Marcus Weber (geboren 1965 in Stuttgart) beobachten uns nicht von Bäumen aus, sondern von Balkonen. Mit der inszenatorischen Verschiebung aus dem Dschungel in die städtische Zivilisation geht eine Reihe von Widersprüchen einher. Mag das Fell der Tierfiguren haptisch anziehend wirken, so distanziert uns ihr starrer Blick. Was erfaßt dieser beobachtende Blick? Kann er überhaupt etwas erkennen? Wenn nicht, ist dann der Fellüberzug nur Maske? Aber was wird maskiert? Sind diese Gestalten eher dem Spielzeug ähnlich, oder dem Tierpräparat (was immerhin die Tötung des Tieres voraussetzt)?
Wie barocke Emblemata scheinen Webers skulpturale Denkbilder Sinn zu verkapseln, allerdings nicht den sprichwortartig auflösbaren der historischen Sinnbilder mit Motto, Bild und ausdeutendem Kommentar. Marcus Weber bringt es fertig, seine hängenden Tierskulpturen in die lange Tradition der Tierfabeln, Emblemata und physiognomischen Charakterkunden von Mensch und Tier zu stellen, ohne ins Narrative, Anekdotische oder Urteilende zu geraten. Übrig bleibt, daß uns Affen und Kunstwerk anstarren – und unserer Realität einen von subjektiver Absicht und Deutungsverfügung unabhängigen Ort entgegensetzen, wie ihn Adorno beschrieb:
»Der Ausdruck der Kunstwerke ist das nicht Subjektive am Subjekt, dessen eigener Ausdruck weniger als sein Abdruck; nichts [ist] so ausdrucksvoll wie die Augen von Tieren – Menschenaffen –, die objektiv darüber zu trauern scheinen, daß sie keine Menschen sind.« Adorno, der sich die permanente zivilisatorische Unterwerfung von äußerer und innerer Natur durch den Vernunftmenschen keineswegs idyllisch vorstellte, erkannte im Unverfügbaren des Ausdrucks, mit dem Kunstwerke oder Tiererscheinungen uns unwillkürlich anspringen, eine überraschende Nähe des spätmodernen Menschen zum Tier: »Im clownischen Element erinnert Kunst tröstlich sich der Vorgeschichte in der tierischen Vorwelt. Menschenaffen im Zoo vollführen gemeinsam, was den Clownsakten gleicht. (...) Nicht so durchaus ist der Gattung Mensch die Verdrängung ihrer Tierähnlichkeit gelungen, daß sie diese nicht jäh wiedererkennen könnte und dabei von Glück überflutet wird; die Sprache der kleinen Kinder und der Tiere scheint eine. In der Tierähnlichkeit der Clowns zündet die Menschenähnlichkeit der Affen; die Konstellation Tier/Narr/Clown ist eine von den Grundschichten der Kunst.« MW



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