Author:   Kevin Wells  
Posted: 10.04.2002; 11:25:46
Topic: ARCHIV - DAS TIER IN MIR - KÜNSTLER 01
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Bruce Nauman

BRUCE NAUMAN

Ästhetisch zwingende Lösungen, ästhetische Gewalt hat Bruce Nauman (geboren 1941 in Fort Wayne, Indiana) in seinen Arbeiten nie von sozialer und politischer Gewalt getrennt. Seit seinen Körperabgüssen, klaustrophobischen Korridorinstallationen und Performances der sechziger Jahre bis zu den späteren Videoarbeiten, Metallskulpturen und installativen Versuchsanordungen (etwa »Learned Helplessness in Rats [Rock and Roll Drummer]«, 1988) kreuzen sich bei der Frage nach Gewalt immer wieder Mensch- und Tierkörper. Wenn die menschliche Kommunikation, wie von Samuel Beckett dargestellt (und von Nauman intensiv rezipiert), nicht soziales Miteinander garantiert, sondern zu absurd unverbundenem Vegetieren führen kann, existiert der Mensch mit offensichtlicher Sicherheit nur als Leib, nähert sich insofern dem Tier an.
Ende der achtziger Jahre befaßte sich Nauman mit vorgefertigten Tiermodellen für Tierpräparatoren, die als Untervolumen für den Fellbezug gehäutetem Schlachtvieh ähneln. Die Trägerkonstruktion von »Carousel« (1988) läßt nicht nur an die Galgen vormoderner Justiz denken, sondern als Karussell mit Motorbetrieb auch an Rummelplatz und Zirkus. Darin mischen sich auf für Nauman typische Weise existentielle
Irritation und grotesker Humor. In der Videoarbeit »Clown Torture« (1987) arbeitet sich ein Clown nicht am Lacherfolg beim Publikum ab, sondern auf einer öffentlichen Toilette an seiner Verstopfung – in karussellartiger Endlosschleife. Zirkus und Clown können dabei durchaus als Metapher für Ausstellungsbetrieb und Künstler verstanden werden. Nauman: »Betrachtet man Zeiten, in denen die Arbeit schwerfällt, als Zeiten geistiger Verstopfung, kann das Bild eines scheißenden Clowns (...) als brauchbare Parallele dienen.« Daß der Titel die Verstopfung des Clowns als »Torture« bezeichnet, ist gleichzei-
tig witzige Übertreibung und ernsthafter Hinweis: Gewalt erleidet das Individuum, auch das Tierindividuum,
immer dann, wenn es durch Zwang auf die Grenzen seines Leibes zurückgeworfen wird. Insofern stehen die rudimentären Tierkörper von »Carousel« nicht nur für Zirkus, Dressur und die Gewalt des bezwungenen Willens.
Naumans Werkgruppe mit Tierkörpern folgt auf eine Werkgruppe ebenfalls hängender Metallkonstruktionen, die die politische Folter in Südafrika und Südamerika thematisiert. Indem Nauman Tier- und Menschenkörper parallel
thematisiert, zielt seine Kunst auf die existentielle Ebene von Schmerz, Gewalt und Vergänglichkeit. »Es heißt, in der Kunst geht es um Leben und Tod; das mag melodramatisch sein, aber es stimmt auch« (Nauman 1978). MW



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