Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 13:05:42
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 26
Msg #: 351 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 350/352
Reads: 9342

BIG NOTHING << zurückweiter >>
Gustav Metzger

geboren 1926 in Nürnberg, seit 1939 in England, lebt und arbeitet in London

Mit dem Pinsel trägt Gustav Metzger Säure auf gespannte Nylontücher auf. Vor den Augen der Londoner Zuschauer dieser frühen Aktionen frißt sich das aggressive Fluid in den Malgrund. Die Kunst entzieht sich durch Selbstauflösung. 1961 und 1963 waren dies die ersten Umsetzungen von Metzgers Konzept der autodestruktiven Kunst. »Wenn sich der Zerfallsprozeß vollendet hat, wird das Werk entfernt und vernichtet«, steht im ersten Manifest der &Mac221;Selbstzerstörungskunst&Mac220; von 1959. Im zweiten programmatischen Papier deutet Metzger 1960 den gesellschaftspolitischen Hintergrund an: »Autodestruktive Kunst läßt die Lust an der Zerstörung wiederaufleben, den Trieb, dem der einzelne und die Massen ausgeliefert sind. (...) Autode-struktive Kunst spiegelt den zwanghaften Perfektionismus der Waffenherstellung – Polieren bis zur Zerstörung. Autodestruktive Kunst ist die Umwandlung von Tech-nik in Kunst für den öffentlichen Raum.«
Als Reaktion auf die nukleare Bedrohung einerseits und auf die Entwicklung der Kunst hin zur bloßen Ware andererseits greift die autodestruktive Kunst das vorgefundene destruktive Potential auf, um es in Kreativität umzuwandeln. Die Selbstauslöschung der Werke proklamiert Metzger »als die letzte verzweifelte subversive und politische Waffe in der Hand von Künstlern. (...) Sie ist ein Angriff auf das kapitalistische System und die Waffenproduktion. (...) Sie ist außerdem ein Angriff gegen Kunsthändler und Sammler, die sich der modernen Kunst um des Profits willen bedienen.« In der Widersprüchlichkeit der autodestruktiven Kunst zwischen »Protest«, »Lobgesang auf die Zerstörung« (1962) und Adaption industrieller Techniken zeigen sich gesellschaftskritisches und ästhetisches Interesse eng verschränkt.
Metzgers Aufruf zur »chemischen Revolution in der Kunst« (1965) und künstlerische Verfahren wie die der Verrottung oder Explosion zielten auf eine Ästhetik des Ephemeren. Wie die selbstzerstörerischen Maschinen Tinguelys und andere Arbei-ten der fast 100 Künstler, die Metzger zu einem großen »Destruction in Art Symposium« (DIAS) 1966 nach London lud, läuft Metzgers Kunst den bürgerlichen Prinzipien eines auf Beständigkeit und Wertsteigerung beruhenden Kunstsystems zuwider. In ihrem performativen und temporären Charakter bezieht die Auto-Destructive Art eine radikale Position innerhalb der Tendenz der Kunst des 20. Jahrhunderts zu fortschreitender Entgrenzung und Entmaterialisierung. Im Gegen-satz aber zu der werkimmanenten Problematisierung von Zerstörung bei Lucio Fontana oder in den Feuerbildern Yves Kleins überschreitet Metzger die ästhetische Grenze und vernichtet das Werk als Einheit selbst.