Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 13:01:41
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 20
Msg #: 345 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 344/346
Reads: 8471

BIG NOTHING << zurückweiter >>
Kasimir Malewitsch

geboren 1878 in Kiew, gestorben 1935 in St. Petersburg

Kasimir Malewitsch hat die Malerei als abbildende Kunst nach eigenen Worten ihrem »absoluten Nullpunkt« zugeführt. Zugunsten einer »Suprematie (Herrschaft) der reinen Empfindung« sollte »die Kunst vom Ballast der gegenständlichen Welt« sowie von jedem Zweck befreit werden. Das 1918/19 entstandene Werk teilt die radikale Gegenstandslosigkeit jenes 1915 in einer Petrograder Galerie präsentierten »Schwarzen Quadrats«. Das viel zitierte Programmbild der Avantgarde steht am Anfang des Schule machenden Suprematismus.
Die »Null-Form« (Malewitsch: Die gegenstandslose Welt, 1927) des »Schwarzen Quadrats« sollte aber nicht den Endpunkt der Malerei in der Abstraktion markieren. Malewitschs formale Reduzierung auf das elementare Quadrat ist kein nihilistischer Akt. Vielmehr ist sie als Versuch einer Rückkehr zu den Anfängen zu deuten. Von hier aus sollte ein Neubeginn möglich werden. In diesem Umfeld flammt das rote Quadrat vor schwarzem Grund wie das Fanal einer neuen Kunst auf, die das alte Wertesystem zerstört, um die Herrschaft der reinen Formen und Farben über die Natur zu proklamieren. Wenn Malewitsch seinen Farben auch nur selten metaphorische Bedeutung beimaß (»das Rote« als »das Signal der Revolution«), gibt es in den theoretischen Schriften doch deutliche Parallelen zur revolutionären Rhetorik des jungen Sowjetstaats, an dessen ästhetischer Neugestaltung er maßgeblich mitwirkte.
Malewitschs künstlerische Utopie reichte aber über den gesellschaftspolitischen Aspekt hinaus. Ersichtlich wird das wiederum am »Schwarzen Quadrat«, genauer: an dessen Plazierung in der Ausstellung von 1915. In der oberen Raumecke – dem traditionellen Ort der Ikone – provozierte es nicht zufällig den Vorwurf der Gottesläste-rung. In den heiligen Winkel setzte der technikbegeisterte Malewitsch eine neue »Ikone meiner Zeit«, deren reine Formen dem Chaos eine kosmologische Ordnung entgegenstellen. Letztlich scheinen die formale Abstraktion wie der quasi-religiöse Anspruch von wissenschaftlichen Theorien der Zeit inspiriert, die nicht Materie, sondern Energie als Träger und Ursprung hinter der gegenständlichen Welt behaupten. Auf diesen Urzustand zielt Malewitsch zurück. Anstelle der Aura des Religiösen gelte es nun, die erhabene »Feierlichkeit des Weltalls« in der Kunst sichtbar zu machen.