Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 12:48:48
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 18
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BIG NOTHING << zurückweiter >>
Roy Lichtenstein

geboren 1923 in New York, ebenda gestorben 1997

Ein T-Shirt, im rudimentären Malstil seiner frühen Comic-Bilder gehalten, und einen rechteckigen Spiegel kombiniert Roy Lichtenstein 1978 zu einem Selbstpor-trait. An die Stelle des Körpers ist die leere Hülle eines Kleidungsstücks getreten, an die des Kopfes ein blinder Spiegel.
Mit dem Spiegel als Bildmotiv, Form und Reflexion begann sich Lichtenstein bereits in den frühen 60er Jahren auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt dafür waren weniger die berühmten Vorbilder der Kunstgeschichte als die aktuellen und massenhaft reproduzierten alltäglichen Werbebilder. In Airbrush-Technik waren dort Spie-gel wiedergegeben, »die nichts spiegelten«. Die Banalität und Bedeutungslosigkeit dieser Grafiken steigerte Lichtenstein, indem er die repräsentativ-ornamentale Rahmung der Spiegel wegließ und sie formal zur bildlichen Chiffre vereinfachte. Entsprechend sind auch in dem Selbstporträt nur einige gepunktete, gewellte &Mac221;Reflexe&Mac220;, nicht aber ein gespiegelter Gegenstand – das Antlitz des Künstlers etwa – auf der Oberfläche des Spiegels zu sehen.
Der leere Spiegel enttäuscht die Erwartungen an ein herkömmliches Portrait und setzt zwei ineinander verschränkte kunstphilosophische Traditionen außer Kraft, diejenige des Spiegels als Mittel der Selbsterkenntnis und die der Malerei als mimetischer Widerspiegelung der Welt. Die von Spiegel und Malerei erzeugten Bilder werden als Oberflächlichkeiten entlarvt. Was für ein Mensch hinter Konfektionsware und sozialen Rollen steckt, entzieht sich ihrer Darstellung.
»Wir wollen dauernd wissen, was sich hinter dem verbirgt, was wir sehen.« So kommentierte Magritte sein Bild des »Menschensohns« (1964), auf dem ein Apfel das Gesicht verdeckt. Lichtenstein greift in seiner Beschäftigung mit dem Surrealismus dieses Motiv auf, um Magrittes Bildwitz zu übertreffen. In einem 1977 entstandenen Portrait ersetzt eine durchlöcherte Scheibe Käse den Kopf, ein Jahr später ein Spiegel. Das hintersinnige Spiel mit der (kunst-)historisch gestörten Beziehung von Wirklichkeit und Illusion zeigt einzig einen Platzhalter, auf den sich der Betrachter auch selbst projizieren kann. Das Selbstportrait wird zum Rätsel, das uns nichts mehr über den Künstler als Person, viel aber über seine Funktion als Spiegel der Gesellschaft verrät.