Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 12:48:14
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 17
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BIG NOTHING << zurückweiter >>
Martin Kippenberger

geboren 1953 in Dortmund, gestorben 1997 in Wien

Die Bilderberge der Kunstgeschichte scheint Martin Kippenberger manchmal als Schrotthaufen (oder Steinbruch) aufgefaßt zu haben. Einerseits konnte man sich ihrer ohne unnötigen Respekt bedienen (insbesondere, wenn man die instrumentellen Vermarktungsvorteile von avantgardistischem Pathos und künstlerischem Welt-schmerz eher komisch nahm), andererseits fand man auch immer etwas Interessan-tes. Kippenberger begab sich in die ebenso lebensgierige wie theatralisch todgeweihte Pose von Otto Dix (»ohne Titel«, 1988), zog in einer Serie wenig schmeichelhafter Selbstportraits Picassos Unterhosen an (nach dem berühmten Foto des Malerheroen) oder verarbeitete ein graues abstraktes Bild von Gerhard Richter (das einer Schieferplatte ähnelt) zum Beistelltisch »Modell Interconti«. Auch wenn Kippenberger selbst diese Anknüpfungen eher abfällig kommentierte (»Abklatsch verhilft einem zur Größe, wenn man die Regeln des Vergessens kennt«, 1987), begann sein Verfahren der Aneignung neuen Sinn zu provozieren. War die Künstlerheldenpose erst einmal als Hohlform desillusioniert, so wurde sie gewissermaßen zu einer reinen Form ohne Inhalt – und ließ sich neu füllen. Kippenbergers Bilder nach dem »Floß der Medusa« von Théodore Géricault Mitte der 1990er Jahre gerieten jedenfalls selber mehr zu dramatischen Anblicken als daß sie den französischen Meister verhöhnten. Aus dem (eher marktgesetzlichen als kunstgeschichtlichen) Paradigma von Steigerung und Überbietungsästhetik fand Kippenberger den Ausweg der Unterbietung. Als Strategie bedeutete Kippenbergers Infantilisierung seiner Bezugnahmen auf berühmte Malerkollegen den Verzicht auf weniger anstrengende, ebenso marktgängige Verfahren der Bilderfindung. Paradox wurde ihm die konsequente Verneinung zur verlässlichen Orientierung, zur einzig berechtigten, wenn auch von Galgenhumor durchkreuzten Hoff-nung: »If You Don’t Know Where to Go, Go to the No«, Bild-titel, 1985.
Die »Weißen Bilder« – weißer Text von Witzen auf weißer Leinwand – greifen die lange Tradition weißer Bildflächen und weißer Bilder von der historischen Avant-garde über Robert Ryman bis heute auf und an. Die Arbeit scheint dem Betrachter die Frage zu stellen, ob der schlechte Witz oder das harmlos gewordene Pathos einer absoluten, Kunst und Leben revolutionierenden Malerei lächerlicher ist – oder aber, ob in der rüden Attacke nicht doch ein heftiger Glaube an die Möglichkeiten der Malerei versteckt ist und es Kippenberger darum ging, »Bilder zu malen, die das ganz Banale und Alltägliche mit den hohen Ansprüchen der abstrakten Malerei verbinden und den Bogen vom völlig Ordinären zum Kompromißlosen spannen« (Daniel Baumann). Als weiße Entleerung vollzieht Kippenberger den kunsthistorischen Kompetenzverlust in Sachen Sinnstiftung mutwillig nach – wodurch Sinnfra-gen erst wieder ins Spiel kommen.
Es ist eigenartig, wie Martin Kippenbergers ironische, gegen Pathos und wohlfeile Betroffenheit gerichtete Desillusionsarbeit, die sich in den späten 1980er Jahren unter anderem an der weihevollen Beuys-Verehrung kurz vor und nach dessen Tod entzündet hatte, in allgemeinste Zustimmung der Kunstöffentlichkeit in Europa und den USA mündete, als Kippenberger 1997 alkoholkrank verstarb.