Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 12:43:18
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 13
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BIG NOTHING << zurückweiter >>
Sabine Groß

geboren 1961 in Ulm, lebt und arbeitet in Berlin

»Wenn sie zu bestimmen hätten, würden alle Polizisten gerasterte Uniformen tragen, würden sie den Bundesadler durch Raster ersetzen. Jeder hätte gepunktete Taschentücher.« So Sigmar Polke und Gerhard Richter in einer Textcollage von 1966.
Anders als deren Idee der »Überblendung der &Mac221;Wirklichkeit&Mac220; durch ein flächendeckendes, die Leere umschreibendes Ornament, das sich – je nach Couleur – unterschiedlich deuten läßt ...« (Karin Stempel) drängt Sabine Groß ihren menschlichen Untersuchungsobjekten nicht eine neue Ordnung auf, sondern entdeckt Ordnung im bereits Bestehenden. In ihrem Projekt »Grammatik, Vol. 1« von 1997 wird die Künstlerin zur Außerirdischen, die in Unkenntnis des Systems an zufälligen Struk-turen eine logische Ordnung entwickelt. Bereits in den 70er Jahren hatten sich Künstler, vor dem Hintergrund der Sprachspiel-Theorie Wittgensteins, mit dem Phänomen beschäftigt, daß auch außersprachliche Mittel nach Sprachstrukturen organisiert sind. Groß verfährt ironischer und subversiver, indem sie in »Grammatik, Vol. 1« die willkürliche Modeerscheinung von Kleidungsstücken aus kariertem Stoff durch ein von ihr entwickeltes Dekodierungssystem in Sprache »übersetzt«. In mehreren Forschungsschritten demonstriert sie die vollständige Entwicklung eines Systems, das einer immanenten Logik folgt. Bisher geheime Sprachstrukturen deckt sie in ihrer Analyse als vermeintliche Information in Karo-mustern auf. Aus dem Gefüge unterschiedlicher Farb- und Musterqualitäten entstehen per Computer Sätze, die mal mehr, mal weniger Sinn ergeben und als verschlüsselte Parolen ihren Trägern anhaften. Das ironische Spiel produziert mit ausgefeilter Methode zufällig Sinn und relativiert damit die gewohnte Bedeutung von Ordnungs-strukturen.
Die scheinbar unsinnigen Forschungen von Groß irritieren auch in anderen ihrer Arbeiten die gewohnten Wahrnehmungsmuster. Ihr Projekt »Fünf Handbücher«, das 1994/95 in den Hauptbahnhöfen von München und Frankfurt realisiert wurde, betreibt die Subversion technoider Visionen des Menschen. Die fünf Leuchtkästen aus Aluminium gleichen den Monitoren mit Fahrplananzeigen auf Bahnhöfen. Auf ihren Informationstafeln strahlen dem Betrachter die schematischen Gliederungen komplexer Abläufe entgegen: »Raumkonstruktor«, »Emotionsmanager«, »Wirklich-keitsprozessor« sind deren Titel. Individuelle Wahrnehmung, Empfinden, Denken und Handeln scheinen verknappt auf modellhaft gegliederte Ablaufschemata. Bevor man noch die Autorität dieser Schemata in Frage stellt, versucht man sich verwirrt in das befremdliche Modell einzudenken. Die humorvolle Kategorisierung von Wahrneh-mung und Welt und ihre Frage danach, ob es eine den Dingen immanente Ordnung gibt, stößt letztlich immer an die Frage nach der sinnstiftenden Instanz – sollte sich keine finden, bleibt nur die Illusion der Verabredung im leeren Raum.