Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.01.2002; 12:42:14
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 11
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BIG NOTHING << zurückweiter >>
Katharina Fritsch

geboren 1956 in Essen, lebt und arbeitet in Düsseldorf

Der eigentliche Augenblick, in dem Kunst stattfindet, liegt in einer vorbegrifflichen Erfahrung, in einer Art des Sprachlos-Seins. Es ist der »Moment, in dem ich den Dingen unverstellt begegne, erschrecke, staune, den Sog eines Raumes empfinde, einer Leere begegne …«
1984 entsteht Katharina Fritschs erste Arbeit, in der es kein physisches Objekt im eigentlichen Sinne mehr gibt. Das Kunstwerk »Parfüm im Hausflur« besteht darin, daß die Künstlerin Parfüm in einem Treppenhaus versprüht. Auch wenn die Arbeit immer noch physisch ist, ihr Material ist optisch nicht mehr wahrnehmbar – so entspricht das Werk eher einer flüchtigen Erscheinung, als einem traditionellen Werk-begriff.
Der Auslöser der Arbeit »Parfüm im Hausflur« ist die Erinnerung an eine biografische Erfahrung aus der Kindheit der Künstlerin. Immer wenn eine bestimmte Nachbarin im Haus ihrer Großeltern anwesend war, dann war dies bereits an ihrem Duft, den sie als Spur zurückließ, zu ahnen. Von ihrer Mutter erfuhr Fritsch, daß das Parfüm jener Dame »Je reviens« hieß. Umso erstaunlicher, denn bereits der Name spiegelte den Effekt jener geheimnisvollen Verschmelzung aus Erfahrung und Erinnerung, die seine eigene Wirkung kennzeichnet. Der Duft verweist mit seinem Versprechen stets auf ein Objekt, dessen Ankunft oder Rückkehr er verspricht. Fritsch sucht »Momente, die man nicht erklären kann, die man aber erleben kann, wenn man sich ganz unverstellt und möglichst ohne viele Vorgedanken« darauf einläßt. Die irritierende Atmosphäre, die durch ihre Objekte und Installationen entsteht, produziert eine Intimität, die den Betrachter zwangsläufig vereinnahmt. Außerhalb begrifflichen Vorwissens auf einen Zustand nicht vorgefertigter Bilder zu stoßen und mit großer Präzision Unmittelbarkeit herzustellen, ist Ziel des Werkes, das ebenso rational wie psychologisch ist.
»Parfüm im Hausflur« ist aber auch eine Metapher des eigenen Begehrens an die Kunst. Was immer man aufgrund der Spur des Duftes erwarten mag oder zu begehren beginnt, man wird es nicht finden, denn die Kunst hat ihre institutionalisierte Hülle entweder verlassen und den Ort gewechselt, oder sie existiert nicht mehr. Wie die Arbeit »Museum, Modell 1:10« (1995 im Deutschen Pavillon in Venedig) thematisiert »Parfüm im Hausflur« die Beziehung zwischen Künstler und Publikum, zwischen Kunst und der Institution des Museums – allerdings auf eigene, kaum merkliche Weise.