Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:34:13
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 31
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ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Dirk Skreber

Dirk Skreber

Lang, sehr lang dehnt sich die Haube des amerikanischen Straßenkreuzers aus der Tiefe des Bildraums dem Betrachterblick entgegen und läßt den Vordergrund der Bildbühne unbetretbar erscheinen. Nur der Blick darf in diesen Showroom hinein. Betreten nicht erwünscht, außer, du bist wirklich cool, mindestens so cool wie der Schlitten hier! Autokarosserien können vorsprachlich und doch sehr wirksam Imponiersignale aussenden, wie sie Dirk Skreber (geboren 1961 in Lübeck) in seinem Ölbild von 1987 festhält. Ein wenig allerdings sabotieren das Altmeisterliche von Maltechnik und Farbgebung sowie die liebevoll ausgepinselten Ornamente auf Boden, Gardine und Säule den unterkühlten Auftritt. Auch daß sich das Automobil in der Bildkomposition noch unter die Trennlinie von Boden und Vorhang duckt, läßt es fast wie eine platte Flunder auf dem Boden eines trüben Aquariums erscheinen.
Nichts ruiniert Effekt heischende Auftritte nachhaltiger als verrutsche Details und kleine Lächerlichkeiten. Die allerdings nimmt Skreber bewußt in Kauf, wenn der Malprozeß sie mit sich bringt, oder baut sie, wo nötig, ein – denn: Nichts ist, wie es scheint. Sanft und ein bißchen schräg geht bei Skreber diese Desillusion aus dem Illusionismus von Bildtiefe und Gegenständlichkeit hervor.
Auch in dem extravaganten Aufblick (1990) auf sechs amerikanische Gasoline Guzzlers, übermotorisierte Schaukelschiffe der Landstraße, verschließt sich Skrebers Manierismus nicht zum Selbstzweck, sondern ist innerbildliche Infragestellung eingewöhnter Seherwartungen. In welchen Raum blicken wir eigentlich? Auf den Parkplatz vor einem Hochhaus in Houston oder Alabama? Dafür wirkt das Bildlicht zu künstlich. Sehen wir von einem Studiogerüst auf ein Filmset hinunter? Oder zeigt der Bildausschnitt ein aufwendig hingebasteltes Detail aus einer Spielzeugeisenbahnlandschaft?
In einem fast quadratischen Bild von 1988 fahren ein gelbes und ein blaues Auto im Kreis, geführt von zeigerartigen Armen wie auf einer überdimensionalen Uhr. Auf der Kreisbahn mit weißer Straßenmittemarkierung fährt das eine Auto auf der Innen-, das andere auf der Außenbahn. Besteht das Gestänge, das beide Autos mit dem Mittelpunkt verbindet, aus zwei gegeneinander beweglichen Armen oder ist es eine durchgehende Stange? Was soll die Anordnung? Ein Abnutzungstest für Autoreifen von 1961? Eine Souveniruhr für Autofreaks vom Hockenheimring? Ein sekundenkurzer Bildgedanke, wie er einem im Halbschlaf durch den Kopf schießt?
Skrebers desillusionierter Manierismus, das Ineinander von schnoddrig stehen gelassenen Verzerrungen und melancholisch entrücktem Bildlicht, ermöglicht ihm eine suggestive Sentimentalität ohne Kitsch. Als Erwachsene bestaunen wir Automobile durch Kinderaugen, also auf eine für immer verlorene Weise. MW

Skreber. Kat. Kunstraum München e.V., Kunsthalle Rostock. München 1992