Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:30:51
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 24
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ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Mel Ramos, A.C. (Zündkerze), 1965


Mel Ramos

In direkter Anlehnung an eine Arbeit von Francis Picabia entstand 1965 "A.C. (Zündkerze)". Galt dem Maschinenfreund Picabia die Zündkerze tatsächlich noch als technisches Novum, das ironisch als "Portrait eines jungen amerikanischen Mädchens im Zustand der Nacktheit" betitelt wird, kommt es bei Ramos (geboren 1935 in Sacramento, Kalifornien) zu einer weiteren Wendung des ursprünglichen Bildinhalts. Ramos nimmt Picabias Titel wörtlich und überführt dessen assoziationsreiche Titelgebung in eine tautologische Bildkomposition: Eine junge amerikanische Frau posiert neben einer Zündkerze. Bildanordnung und Größenverhältnis von Frau und Zündkerze führen zu einer Sexualisierung des Autoteils, das zum überdimensionierten Phallus wird, als pars pro toto zum Symbol von Männlichkeit schlechthin. Seit den sechziger Jahren und nicht zuletzt durch die enorme Popularität der Pop Art bindet sich der Mythos Auto an die Vorstellung dynamischer Erotik bis hin zur sexuellen Ekstase. Die technologische Euphorie jener Jahre konkretisiert sich in einer irrationalen Hingabe an das Auto, das als neues magisches Kultobjekt Hätschelkind der Werbebranche wird. In der beginnenden Massenmotorisierung wird es zum Symbol von Freiheit und Fortschritt, Modernität und Wohlstand.
Die amerikanische Pop Art, zu deren Vertretern Mel Ramos gehört, bedient sich wie keine andere Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts der Mythen des Alltags. Comic strips und die künstliche Plakat- und Konsumwelt mit ihren Massenprodukten sind für die Künstler Ausgangsmaterial ihrer Bild- und Objektfindungen. In zahlreichen Arbeiten bringt Ramos nackte Pin-up-Girls mit mythisch besetzten Warenartikeln zusammen. Auf den ersten Blick könnte man auch den Siebdruck "A.C." für eine typische Produktwerbung der Zeit halten. Die scheinbar sinnwidrige Kombination eines sonnenverwöhnten Pin-Up-Girls mit einer gigantischen Zündkerze vor rot gefaßtem Firmenemblem hat jedoch etwas befremdend Surreales. In der formalen Gestaltungsweise wird dies durch die Mischung aus Fläche und Plastizität, weich geformtem Frauenkörper und metallisch glänzender Oberfläche des technischen Utensils unterstrichen. Der idealisierte akademische Rückenakt mit seitlich dem Betrachter zugewandtem Kopf durchbricht in seiner Klischeehaftigkeit die Grenze zum Trivialen. Blick und Kopfhaltung haben etwas aufreizend Vulgäres. Trotz Klarheit des Bildaufbaus und ausgewogenem Formenspiel arbeitet Ramos, wie viele Künstler der Pop Art, mit doppeltem Boden, denn seine Werke sind Ausformulierungen einer erotischen Phantasie, die ein grundlegendes Werberaster für Marketingstrategien darstellt. UT