Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:27:59
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 28
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ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Edward rucha


Edward rucha


Edward Rusha

Als Edward Rusha (geboren in Omaha, Nebraska) 1963 sein später legendäres Fotobuch "Twentysix Gasoline Stations" veröffentlichte, teilte er mit der amerikanischen Pop Art jener Jahre die scheinbar naive Hinwendung zu Alltag und Konsum, wodurch die hochmögenden Abstrakten Expressionisten und Ideographen der fünfziger Jahre mit ihren erlesenen Latein-Kenntnissen plötzlich ins kunsthistorische Abseits gesetzt wurden. Wie andere damals junge Künstler, etwa Rauschenberg und Johns, sah Rusha in malerischer Vergeistigung und Überhöhung eine Sackgasse, nicht zu vergleichen mit der visuellen Reizdichte am Straßenrand bei heruntergekurbeltem Wagenfenster. Die "Twentysix Gasoline Stations" liegen an der berühmten Route 66, die Rusha als Student zwischen Los Angeles und dem Heimatort seiner Jugend in Oklahoma häufig entlang fuhr. Eine ebenso berühmte Straße stellte Rusha 1966 ebenso lapidar in seinem acht Meter langen, zickzack gefalteten Buch "The Sunset Strip" dar. Zu sehen sind die Gebäude am bekanntesten Straßenzug Hollywoods, und zwar fortlaufend am oberen und kopfüber am unteren Rand einschließlich eingedruckter Hausnummern. Mit Hilfe der seriell und wertungslos aneinandergereihten Einzelfotos übersetzt die Arbeit eine langsame Autofahrt in ein Buch.
Rushas insgesamt 16 Fotobücher und seine großformatigen Leinwände mit isolierten Wörtern wie "Flash, "ACE" oder "Smash" bestechen durch ihre Lakonie. Die Wörter funktionieren nicht als philosophischer Resonanzraum (wie etwa die Bildtitel Barnett Newmans), sondern sie scheinen Rusha buchstäblich während des Autofahrens zugefallen zu sein. "Fisk" oder "Electric" prägen sich als Schlagworte großer Werbetafeln am Highway sekundenkurz dem Blick des Vorbeifahrenden ein und dringen als kontextloser Splitter in die automobil zerstreute Wahrnehmung ein, um dort beziehungslos, aber werbesprachlich grell präsent zu bleiben: "Words without thoughts" (Titel einer Installation in Miami 1985).
Wie Hannah Höch und Giacomo Balla zu ihrer Zeit zieht Rusha die Summe aus der unausweichlichen Veränderung der menschlichen Wahrnehmung durch das allgegenwärtige Automobil. In den sechziger Jahren ist der Kraftwagen, sind Ausfallstraßen und riesige Parkplätze längst zur natürlichen Umwelt des weißen amerikanischen Wohlstandsbürgers geworden, hat die urbane Automobilisierung die vormals übermächtige Natur Nordamerikas bezwungen und zum eingezäunten Reservat gemacht, das mit dem Auto besichtigt werden kann. Das Fotobuch "Thirtyfour Parking Lots in Los Angeles" (1967) widmet sich der Realität riesiger, ganze Landschaftszüge einnehmender Parkplätze und übertrifft – ein fast boshaft ironischer Nebeneffekt – durch geschickte Wahl der Blickwinkel und Tageszeit mit seinen Schwarzweißmustern manche malerische Bemühung des Abstrakten Expressionismus. MW

Neal Benezra, Carry Brougher: Ed Rusha. Kat. Zürich Berlin New York 2000