Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:25:16
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 21
Msg #: 267 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 266/268
Reads: 14596

ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Blinky Palermo

Blinky Palermo

Es gibt nur sehr wenige Arbeiten im Werk von Blinky Palermo, die einen eindeutigen Gegenstandsbezug aufweisen. Spätestens seit seinem Eintritt in die Klasse von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Akademie 1964 arbeitet er an gegenstandslosen Konzeptionen, konzentriert sich auf einfache Formen und Farbanordnungen. Die formale Neuorientierung wird begleitet durch die Wahl eines neuen Namens: Peter Heisterkamp (geboren 1943 in Leipzig, gestorben 1977 auf den Malediven) nennt sich von nun an Blinky Palermo. So streng seine in den folgenden 13 Jahren entstehenden Objektbilder und Bildobjekte, seine Stoffbilder und Wandmalereien zunächst erscheinen, so sind sie doch nie Illustrationen einer Theorie, sondern verdanken ihre kraftvolle Intensität dem Zusammentreffen des Wirklichen (sei es ein Fundstück oder der Verweis auf erlebtes Leben) mit dem konzeptuell Gesetzten. Eindrücklichstes Beispiel für diese Ambivalenz, die der formalen Klarheit jegliche Dogmatik nimmt, ist das Gemälde "Flipper", dessen Farbgeometrie der Seitenbemalung eines Spielautomaten folgt und so die triviale Bilderwelt des Alltags mit der Erhabenheit der Gegenstandslosigkeit verbindet. Der Siebdruck "Auto" gibt als Farbform scheinbar die groben Umrisse eines Autos in Seitenansicht – allerdings ohne Räder – erkennbar wieder. Die in zwei Brauntönen serigraphierte, nahezu opake Form steht leicht schräg im Bild und unterscheidet sich im Malduktus deutlich von der sich auf der rechten Bildseite expressiv-malerisch ausbreitenden türkis-blauen Pinselschrift. Etwas geschieht zwischen den zwei konträr aufgefaßten Bildbereichen, ein Zusammenstoß? Schwarze Kleksformen scheinen hinter dem Auto aufzusteigen. Verschließt sich der Siebdruck einer eindeutigen Lesart ebenso wie einer Vergleichbarkeit mit anderen Bildtypen im Werk Palermos, so handelt es sich bei dem aufcollagierten Oval, das die Kontur des Autos fast zu sprengen scheint und zugleich als Fläche definiert bleibt, um eines der immer wiederkehrenden Bildzeichen Palermos. Bereits 1966 entsteht die "Graue Scheibe" als Wandobjekt, deren ovale Form 1970 in einem der frühesten druckgraphischen Werke Palermos aufgegriffen und mit dem schwarzen Quadrat, dem grünen und dem blauen Dreieck zu den "4 Prototypen" in einer Mappe zusammengefaßt wird. Als freie, sich in ihrer leichten Unregelmäßigkeit gegen eine Geometrisierung behauptende und dadurch lebendige Form steht das Oval auch im "Auto". Als Form an sich behauptet es sich gegen das scheinbar als konkreter Verweis erscheinende Auto und stellt es damit zugleich in Frage. Wie sicher wären wir, daß es sich bei der braunen Form um ein Auto handelt, wenn nicht der Titel uns diese Denkrichtung vorgäbe? MB

Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst: Blinky Palermo. Kat. Leipzig 1993