Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:22:36
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 14
Msg #: 264 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 263/265
Reads: 10387

ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Martin Kippenberger, Kein Capri bei Nacht


Martin Kippenberger

In einer nächtlichen Szenerie fällt das Licht einer Laterne auf ein schneebedecktes Auto. Ähnlich wie in Weegees Fotografien von verschneiten Autos, die wie schlafende Tierkolosse wirken, scheint die Schneedecke den Wagen auf seltsame Weise zu renaturieren. Mit der Karosserie verdeckt der Schnee zugleich die Markenidentität des Autos. Unserem Versuch, die Marke zu erraten, kommt ein in diese tabula rasa eingetragener Schriftzug zuvor. Ihm zufolge ist es "No Capri". Was ist es aber dann? Entscheidender als die Beantwortung dieser Frage ist wohl, warum wir es überhaupt wissen wollen.
Die status- und identitätsstiftende Funktion des Autos ist ein Gemeinplatz, den Kippenberger (geboren 1953 in Dortmund, gestorben 1997 in Wien) am Einzelfall überprüft. Nicht Technik und Ausstattung interessieren ihn: "Autoquartett hab ich nie gespielt." Wenn er auch selbst keinen Wagen fuhr, kannte Kippenberger den Reiz des großen Auftritts, einen Bentley zu mieten und sich "durch die Gegend" chauffieren zu lassen. Und: "Ich guck mir gerne ’n Jaguar E an. Hätte ich Platz in meinem Haus, in einer Garage, würd’ ich mir den auch da rein stellen, ’nen Jaguar E" (1991). Was heißt es also, ein Modell vor dem Haus stehen zu haben, das nach dem Sehnsuchtsziel aller Italienreisenden benannt ist? Angesichts der kalten Witterung wirkt die südländische Aura des Typennamens deplaziert. Was wir sehen, ist "Kein Capri bei Nacht". Das bezieht sich doppeldeutig auf das Auto, aber auch auf seine schnöde, trostlos wirkende Umgebung. Von den romantischen Küsten Capris sind wir hier wohl ähnlich weit entfernt wie der "Nudel-Laden" namens "Capri" bei Kippenbergers späterer Wohnung in Los Angeles. Die meisten Besitzer eines Ford Capri, von manchen abschätzig "Vorstadt-Ferrari" genannt, werden nie bis nach Italien gekommen sein. Und dennoch machen die Bilder und assoziativen Versprechungen, die von den Autonamen transportiert werden, das Auto zu einem Traumgegenstand. Die Beziehung, die Fahrer zu ihrem Auto pflegen, und das Bild, das sie von ihm haben, sind sensibel. Gegen Desillusionierungen, wie sie Kippenberger mit nur zwei Worten betreibt, sind sie ebensowenig gefeit wie der Lack gegen häßliche Kratzer. FE

Martin Kippenberger: The happy end of Franz Kafka's "Amerika". Kat. Deichtorhallen Hamburg. Köln 1999