Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:20:28
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 17
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ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Olaf Metzel

Olaf Metzel

Die Arbeitsweise von Olaf Metzel (geboren 1952 in Berlin) gleicht ein wenig einer Autofahrt – keiner Sonntagsfahrt ins Naherholungsgebiet, auch nicht der dösigen Pendlerfahrt ins Büro, sondern der erlebnisoffenen Fahrt ins Blaue, mal lässig, mal mit Vollgas. Immer sind Kamera, Notizbuch und Zeichenstift zur Hand, übergangslos können der Alltag am Straßenrand oder Fundstücke aus den Medien für Metzel Ideengeber einer Installation werden. 1982 verwandelte der Künstler die Münchner "Tankstelle Landsbergerstr. 193 (B2)" in eine "Drive-In-Ausstellung" (Metzel), 1997 stattete er die Ebene 4 des Parkhauses Bremer Platz in Münster mit einer "akustischen Installation" aus: ein Crashtest, im Dolby-Surround-System gut hörbar gemacht.
So, wie es in Metzels Arbeitsweise den (geradezu autobahnartigen) Wechsel von Gesamtentwurf in Hochgeschwindigkeit und bildhauerischer Feinabstimmung im Schrittempo gibt, sind seine Arbeiten strukturiert von einem paradoxen Ineinander großer Geste und hintersinniger Anspielung, von zerschlagenen, angebrannten oder aufgesplitterten Einzelteilen und schlüssigem Gesamtzusammenhang, von anarchistischer Kompromißlosigkeit und gesellschaftspolitischer Bezugnahme. Viele seiner raumgreifenden Arbeiten sehen so aus, als seien sie gerade an ihre Stelle gestürzt. Dabei resultiert die Anmutung des zufällig Selbstverständlichen aus einem genauen Arrangement von Destruktion und Konstruktion. So ist Metzels krachend zersplittertes Basketballfeld "112:104" (1990/91) als spätes Echo von C.D. Friedrichs Gemälde einer Schiffszerstörung ("Die gescheiterte Hoffnung", 1823/24) gedeutet worden, wobei die Arbeit ebenso starke Anklänge an den optimistischen Konstruktivismus des russischen Avantgarde hat.
Olaf Metzel, dessen provokante und (zumal im öffentlichen Raum) viel diskutierten Arbeiten ihn zu einem der heute international bedeutendsten Bildhauer Deutschlands gemacht haben, ist ein engagierter Hochschullehrer und ein treu sorgender Familienvater. Wenn die Schulferien nahen, wird das Familienauto bepackt, um auf der "Strada del Sole" der italienischen Adria entgegen zu fahren. Metzels gleichnamige Installation verwandelt den immobilen Ausstellungsraum in die automobile Fahrgastzelle. Der Cassettenrecorder läuft, die Autobahn saust unten durch, das Zeitgefühl verschwimmt, das Raumgefühl auch – wie viele Gepäckträger sind eigentlich auf dem Autodach? So, wie sich solche Fragen nach neun Stunden Autobahn langsam ins übermüdete Bewußtsein senken (und eine dringende Kaffeepause signalisieren), scheint sich das Gewirr von umflochtenen Dachgepäckständern von oben in den Ausstellungsraum gesenkt zu haben. Auch mit dieser Arbeit erzeugt Metzel intensive Stimmungen aus paradoxen Konstellationen, wirken doch die Gepäckständer kopfüber gegen die Decke gestürzt. MW

Olaf Metzel. Kat. Darmstadt 2001