Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 16:00:03
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 01
Msg #: 247 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 246/248
Reads: 11773

ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Gerd Arntz

Gerd Arntz

Ende der zwanziger Jahre entwickelt Gerd Arntz (1900-1988) die sogenannte Wiener Methode der Bildstatistik, deren Zeichenmodelle zu Vorläufern international gebräuchlicher Piktogramme werden. Figuren wie Objekte werden "schriftartig” und "einer klaren Typografie ähnlich” zu Zeichen, die, von allem Unnötigen und Dekorativen befreit sind. "Eine durchgehende Systematik durchgeformter Figuren und Symbole”, so Arntz, "ermöglicht es, jede Art von sozialen und Kulturzusammenhängen und ihren Verschiebungen und Umwälzungen” darzustellen, und dieser Stil bestimmt die Bildsprache auch seiner "kritischen Grafik” jenseits der angewandten Statistik. Das Auto besitzt in diesem Zeichensystem emblematischen Charakter und ist in seinen "freien” Arbeiten vor allem Attribut der oberen Klasse. Es ist Machtsymbol wie statistisches Motiv, Zeichen herrschender Klasse ebenso wie Mengenobjekt einer sich motorisierenden Gesellschaft und deren bürokratischer Verzeichnung.
In dem holzschnittartigen Schwarz-weiss seiner Grafiken zeichnet Arntz ein komplexes System gesellschaftlicher Szenen der öffentlichen und privaten Welt und deren politischer Zusammenhänge, in denen auch das Automobil als Motiv nicht fehlen kann. In der Serigraphie "Oben und Unten” von 1931 etwa ist die Bildfläche, gesellschaftliche Hierarchien spiegelnd, in drei horizontale Ebenen gegliedert. Zwei Drittel des Blattes nimmt das "Unten” ein, das von Arbeiterfiguren in einem dunklen Bergwerksstollen gefüllt wird, während sich Übertage, im oberen Drittel des Blattes, der reiche Industrielle an die Karosserie seines noblen Automobils gelehnt mit einer Dame in erotischer Umarmung vergnügt. Die rechts im Hintergrund aufragende Zechenarchitektur stellt die kausalen Zusammenhänge der Bildmotive her. Die formale Gestaltung des Oben und Unten, wie Helldunkelkontrast spitzen die Bildthese als klare Interpretation und deutliche Kritik dieser neu-feudalen Strukturen zu.
In der früheren Grafik "Strasse” von 1926, die die Düsseldorfer Königsallee abbildet, scheint dagegen eine moderne Konsumgesellschaft bereits etabliert und die urbane Landschaft zum Paradies der Massenkultur demokratisiert. Während auf der Straße ein Automobil bereits dicht auf das andere folgt und sich deren elitärer Reiz des Besonderen auflöst, flanieren im Hintergrund schematisierte, gutgekleidete Passanten zwischen den großzügigen Fluchten der modernen Architektur.
In der Kunst des 20. Jahrhunderts, das wird auch durch die Arbeiten von Arntz deutlich, ist das Auto ein Symbol mit wandelbarer Bedeutung. Vom exklusiven Machtsymbol wird es zum kollektiven Fetisch einer motorisierten Gesellschaft und Transportmittel ihrer neuen optimistischen und ökonomisch orientierten Gesellschafts- und Sozialphilosophie. D.E.

Gerd Arntz: Kritische Grafik. Kat. Haags Gemeentemuseum, Den Haag 1976