Author:   Kevin Wells  
Posted: 08.09.2001; 15:55:02
Topic: ARCHIV - ICH BIN MEIN AUTO - KÜNSTLER 03
Msg #: 245 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 244/246
Reads: 9482

ICH BIN MEIN AUTO << zurückweiter >>

Andrew Bush, Man Traveling Northwest at 60mph on Highway
101 in the Vicinity of Hollywood, California, Late on a Sunday
Afternoon in March 1991 (Possibly Someone in Character),
1991, Fotografie, 76,2 x 114,3 cm


Andrew Bush

Der Fotokünstler Andrew Bush (geb. 1957 in St. Louis, Missouri) lebt und arbeitet seit den frühen achtziger Jahren in der Stadt, deren Einwohner wohl mehr als irgendwo sonst durch das Auto geprägt sind. In Los Angeles gilt: Du bist was du fährst. So stellen auch die zwischen 1989 und 1991 entstandenen "Vector Portraits" im Auto sitzende Menschen vor, gerahmt durch das Seitenfenster, reduziert auf Kopf, Schulter und die Hand am Steuer. Bush hat sie auf der Straße, im Vorbeifahren oder bei kurzen Stops mit einer Großbildkamera aufgenommen. Am Beifahrer-Fenster seines eigenen Wagens befestigt, löst er sie per Fernbedienung aus. Dabei erinnert sein pseudo-wissenschaftliches Vorgehen an Ed Rushas visuelle Kataloge von Parkplätzen und Tankstellen. Die Bildtitel dokumentieren Datum, Zeit, Geschwindigkeit, Wetterbedingungen und Ort der Aufnahmen. Menschen, die wir sonst nur kurz passieren, können wir hier eingehend betrachten und überlegen, wer sie – ihrer Kleidung, ihrem Gebahren und ihrem Auto nach zu schließen – wohl sein mögen.
Mehr oder weniger unbemerkt dringt der fotografische Blick in den halb-privaten, "bewegbaren Raum" (portable room) des Autos ein. Wie dieser alltägliche Vouyeurismus ist uns auch das Verhalten der Insassen bekannt. Sie benehmen sich, als wären sie für die Welt außerhalb des Autos unsichtbar. Abgeschirmt hinter Metall und Glas wiegen sie sich in vermeintlicher Sicherheit und Intimität. Auto fahren, das heißt lange Phasen der Selbstversunkenheit, die sich bis zu einem hypnoseähnlichen Trancezustand (freeway state of mind) steigern können, um sich dann wieder mit ungezügelten Ausbrüchen (screaming yawn) und kosmetischen Verrichtungen bei gedrosselter Geschwindigkeit abzuwechseln.
So sehr die Schnappschüsse einerseits das Typische erkennen lassen, so scharf sind andererseits individuelle Charaktere gezeichnet. In ihrer Ausschnitthaftigkeit und unterstützt durch die Bildtitel entfalten die Fotografien – Filmstills vergleichbar – ihr erzählerisches Potential. Die Autos erzählen Geschichten, ähnlich wie die Häuser der Leute oder ihre Visitenkarten, die Andrew Bush ebenfalls zum Thema von Serien indirekter Porträts machte. Wir erfahren zwar nichts über die angesteuerten Ziele, umso mehr aber über bestimmte verbreitete Fahrgewohnheiten und Verhaltensweisen. Nicht zufällig wurde der Künstler als Marktforschungs-Berater von renommierten Autofirmen konsultiert, die seine Fotos in diesem Sinne gelesen haben: als Psychographien des automobilisierten Menschen. FE