Author:   Kevin Wells  
Posted: 21.03.2001; 16:21:11
Topic: ARCHIV – KÜNSTLER 01 – BIG NOTHING
Msg #: 219 (Erste Nachricht zum Thema)
Prev/Next: 218/220
Reads: 9322

BIG NOTHING << zurückweiter >>
Stefan Altenburger

1968 in Zürich geboren, lebt und arbeitet in Zürich

60 Minuten lang folgt der Betrachter von Stefan Altenburgers Videoanimation »Promenade« einem breitschultrigen Mann durch eine völlig menschenleere, abweisende Stadtwüste. Die zur Identifikation einladende Rücken-figur schreitet zielstrebig durch verlassene Alleen, an Sicherheitszäunen und schäbigen Häuserzeilen entlang, die sich nur vage aus dem fahlen Schimmer der künstlich beleuchteten Nacht schälen. Traumwandlerisch ist sein Gang, wie ferngesteuert. Metaphernreich schneiden Sackgassen und nebelverhangene Abgründe den Weg ab, er muß umkehren. Schon bald tauchen bereits durchlaufene Räume wieder auf: Der Weg führt im Kreis.
»Silent Hill« nennt sich das Computerspiel, aus dem Altenburger diesen Film entwickelt hat. Die düstere Atmosphäre evoziert noch das Grauen und die Gefahren, die dem dortigen Action-Helden hinter jeder Ecke von Monstern und Mutanten drohten. Zum Bewußtsein fehlender Orientierung tritt die Unsicherheit über den Verbleib der Bewohner (ob Menschen oder Dämonen). Ist die Stille diejenige vor oder die nach dem 'Sturm'? Unbeirrt passiert der einsame Held Straßen, aus denen jedes Leben gewichen ist, und die wie skeptisch zugespitzte Modelle virtueller Welten, jener »im Nichts schwebenden Nebelgebilde« (Vilém Flusser), erscheinen. Die mediale Brechung im digitalen Schein verstärkt aber nur den surrealen Aspekt urbaner Un-Orte, die Altenburger bereits in seinen frühen Fotoarbeiten thematisierte. Die vorgeführten Nebenschauplätze und Rückseiten widersprechen dem gängigen Verständnis von »Promenade« als einer übersichtlichen Strecke, auf der bürgerlicher Bewegungs- und Repräsentationsdrang kanalisiert wird.
Der Logik des Spiels und seiner Drastik beraubt, nähert sich die Szenerie des Videos zwar realen Erfahrungen, Altenburger behält jedoch Wiederholung und Zirkularität als charakteristische Strukturen der virtuellen Realität bei, in der Zeit nicht linear und irreversibel verläuft, sondern sich verzweigt zu baumartigen Formen von jederzeit wiederholbaren Möglichkeiten. Das darin enthaltene Potential, in der Sprache des Spiels die sukzessive Optimierung des Punkteergebnisses, kann der seiner Gegner und damit seiner Aufgabe beraubte Held allerdings nicht mehr nutzen. Während der Titel der Arbeit noch das räumlich und sozial geordnete, feiertägliche Promenieren assoziieren läßt, halten uns die Bilder ziellosen Getrieben-Seins die Orientierungslosigkeit und Sinnentleerung einer informalisierten Welt düster vor Augen.