Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.11.2000; 16:59:49
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 06
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Antal Lakner, INERS – Escalator Riding, 2006, Entwurfszeichnung

Antal Lakner

Antal Lakners Maschinen der von ihm gegründeten – fiktiven – Firma „Iners – The Power“ [von lat. iners = ungeschickt, träge, matt] stehen den Heilsversprechen einer freiheitlich-demokratischen, kapitalistisch orientierten Gegenwart nahe: Sie antworten auf das Bedürfnis nach Gesundheit und Wohlbefinden, Sicherheit und Effektivität als Grundlage eines lebenswerten Lebens. Allenthalben finden sich bei Antal Lakner deutlich individualisiert völlig neue Angebote der Freizeitindustrie, die auf die Tätigkeiten und Verhaltensnormen bestimmter Berufsgruppen wie Bauarbeiter, Holzfäller, Anstreicher und Computerarbeiter reagieren und diese einer breiten Öffentlichkeit von Konsumenten erschließen. Angepriesen werden die Produkte in Ausstellungen, Katalogen, auf Plakattafeln und Postwurfkarten in einheitlichem Design und einer Corporate Identity. Überzeugungskraft gewinnen diese mithilfe quasi medizinischer Illustrationen und Bewertungsschemata, die grundlegende Vorteile vermeintlich wissenschaftlich belegen. Dabei bedient Lakner sich der Produktästhetik und der Marketingstrategien der Freizeitindustrie in einer betulichen Werbesprache.

„INERS – The Power“ produziert zwischen 1998 und 2004 „Passive Working Devices“, führt seit 2000 zudem die Produktpalette „Active Perceiving Devices“, wozu das auf der Biennale in Venedig 2001 eingesetzte „Art Mobile“ zählt. Es sind Produkte, die dem körperlichen Training dienen und unterschiedlichste Ansprüche an Intelligenz und Kraft stellen. Die aus Stahl und Kunststoff gefertigten, oft motorisierten Geräte sind verschiedensten Tätigkeitsfeldern entlehnt, dabei aber ihrer ursprünglichen Zweckbindung enthoben: „Freehand – the mouse bench“(1998) – das Wandregalbrett mit Placebo PC Maus; „Handypress – the mobile bench“ (1999) für den Mobiltelefonbenutzer; „Wallmaster – the painting bench“ (1998) simuliert die Bewegungen eines Anstreichers; der „Home Transporter“ (1999) ist ausgelegt für die zweckfreie Betätigung als Schubkarrenschieber. Sie alle bieten ungeahnte Möglichkeiten der Selbstfindung. Kraftschonendes Bewegen und Bewegt-Werden, um am entscheidenden Lebensgefühl „Ich bewege mich, also bin ich“ teil zu haben. Nicht mehr Erlösung durch Arbeit, sondern bloßes Verhalten ist das Ziel.

Scheinbar für künftige Weltalltouristen ist Lakners Raumanzug für doppelte Schwerkraft entwickelt, der uns aber vor allem bewusst macht, welche Körperlast wir doch täglich mit uns herumtragen. Eine vorübergehende Befreiung vom eigenen Gewicht bietet hingegen ein „Zero Gravity“-Tank – eine abgeschirmte Wanne voll Salzwasser, in der die Schwerkraft aufgehoben ist. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich der Mensch im heutigen Großstadtleben ohnehin kaum noch selbst fortbewegt, sondern von Maschinen transportiert und dabei durch diese regelrecht paralysiert wird, entwickelt Lakner nun innerhalb seines INERS-Konzeptes eine neue Reihe von Geräten, die den Benutzer mobilisieren: In Adaption diverser sportlicher Betätigungen auf die Orte modernen Personentransports regt Lakner zum Stretching in Aufzügen, zum Turnen auf Rolltreppen, zu einer Art Paragliding auf Flughafen-Laufbändern sowie zum Surfen im Inneren von U-Bahn-Waggons an.

Die Geräte der Firma „Iners – The Power“ stabilisieren in vielerlei Hinsicht die Lebensbedingungen durch kompensierende Bewegungen und Tätigkeiten, die Menschen in der Dienstleistungs- und Feierabendgesellschaft neu aktivieren. Angesichts wachsender Arbeitslosigkeit und flächendeckender Verarmung, wie sie nicht nur in Ungarn zu verzeichnen ist, preist „Iners“ einen vermeintlichen Lösungsweg an: die Entlastung des psychischen Haushalts durch die Umwidmung von Lebensenergie in Beschäftigungstherapie. Zugleich spielt der Zynismus einer Lebenswelt in das Werk hinein, in der Sonnenbank und Fitnessstudio Körperbefindlichkeit korrigieren und Zivilisationskrankheiten therapieren sollen, die ihren Ursprung wiederum in den Heilsversprechungen einer kapitalistischen Arbeits- und Konsumwelt haben.

Antal Lakner setzt die verbraucherfreundliche Fiktionalisierung des gewohnten Lebens fort, wenn Prototypen von gepanzerten Zelten und Einmannbojen als Ausrüstungsgegenstände der isländischen Armee in Prospekten angepriesen werden oder Verkehrspläne der Istanbuler Metro in professionell anmutender Ikonographie den Betrachter in eine Traumwelt städtischen Lebens transponieren. Weder hat Island eine Armee noch Istanbul eine Metro.



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