Author:   Kevin Wells  
Posted: 20.11.2000; 16:55:37
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 03
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Ágnes Eperjesi, Motiv aus Family Album, 2004 mit deutscher Bildunterschrift versehen, C-Print und Text auf Aluminiumplatte, 130 x 168 cm




Ágnes Eperjesi

„Wenn wir uns darüber beklagen, dass andere sich vor uns verstecken, vergessen wir, dass wir alle undurchsichtig sind. Und das bedeutet nicht nur, dass unsere innere Welt nicht sichtbar ist, aber auch unser Leben wohnt uns bei als Unbekanntes, als offene Möglichkeit – oder wir verstecken uns in ihm.“ (Èva Ancsel 1995)

Das „Familienalbum“ von Àgnes Eperjesi entspricht auf den ersten Blick einem konventionellen Fotoalbum mit schwarzen Kartonseiten, auf die einzelne Bilder geklebt sind. Die Bilder geben Etappen der eigenen Familiengeschichte wieder, die mit den Großeltern der Künstlerin ihren Anfang nimmt. Die Farbbilder sehen aber seltsam aus, wie rohe Negative, auf denen gerade die Gesichtszüge, die eine Wiedererkennbarkeit gewährleisten, kaum oder nur schemenhaft zu erkennen sind. Die Individualität der Familienmitglieder reduziert sich optisch auf die Rollen, die sie innerhalb der Familie einnehmen, auf ihre Kleidung oder auf geschlechtsspezifische Merkmale. Beim Blättern in diesem Album entfaltet sich trotzdem die Familiensaga der Künstlerin, nicht zuletzt dank der kurzen, erklärenden Bildunterschriften. Es sind allerdings nicht private Fotografien, bei Feierlichkeiten, zu Hause oder im Urlaub gemachte Schnappschüsse, die Eperjesi als vermeintliche Dokumente ihres Familienlebens heranzieht, sondern scheinbar banale Bilder, die sie auf herkömmlichen Produktverpackungen findet. In Eperjesis Album findet also sehr wohl eine Hinwendung zur persönlichen Identität statt, einzelne Erinnerungsmomente werden aufgerufen. Dies geschieht aber paradoxerweise anhand von unpersönlichen, kollektiven Bildern, von Piktogrammen und schematischen Motiven, die als Zeichen für die Protagonisten der Kleinfamilie einstehen.

Eperjesi besitzt ein großes Konvolut aus solchen selbst gesammelten „Bildern“, die sie auf Nylontüten, Haushaltswarenverpackungen oder Postkarten vorgefunden hat. In dieser Sammlung stöbert sie, um daraus in einer Art von Recycling eine persönlich anmutende Geschichte zusammenzustellen. Doch gleicht dieser Prozess der Aneignung, der Annäherung von Kollektivem und Subjektivem, nicht unserer Herangehensweise an fremder Leute Fotografien, wenn wir auf einmal die Regelmäßigkeiten des menschlichen Daseins erkennen? Im abschließenden Kommentar des Albums deutet die Künstlerin das an: „Dies ist ein völlig reales, fiktives Fotoalbum. [...] Wenn wir das Fotoalbum eines anderen Menschen anschauen, sehen wir lauter fremde Leute; und doch kommt uns all das so bekannt vor. Als ob wir unser Leben im Leben des anderen entdecken würden.“

Manche der kleinformatigen Bilder vergrößert Eperjesi und zieht sie auf Aluminiumplatten auf. Dabei kommen kleine Fehler zum Vorschein, etwa die Freiräume zwischen den Konturen und Farbfeldern oder unregelmäßiger Farbauftrag, die den massenhaft vorgefertigten Bildern eine malerische Note verleihen. Auch ihnen fügt Eperjesi in der Manier der Pop Art kurze Sätze bei und lässt sie auf grauen Metallplatten als ironische oder poetische Kommentare aufscheinen. Subtil ironisiert die Künstlerin etwa ein Familienporträt, auf dem sich das junge Ehepaar über ein Baby freut: „Das Beispiel dient naturgemäß nicht zur Nachahmung“.

Die gesammelten, zeichenhaften Verpackungsbilder geben in anderen Werkserien der Künstlerin, wie etwa in „self-service“ (2002) oder „busy hands“ (2000), die nicht reflektierte Wertewelt des Alltages wieder. Putzende Hände und dampfende Lebensmittel werden in Ungarn immer noch eindeutig als „Bilder mit weiblichem Bezug gelesen. Klischeehafte Bildercodes und klischeehafte Auffassungen überlappen sich hier. Auf einer weiterführenden Ebene ist schon der Akt des bewussten Bildersammelns als ein „dereflexiver“ Vorgang zu deuten, weswegen Eperjesis Arbeiten in Ungarn neuerdings weitgehend der neokonzeptuellen Kunst zugerechnet werden.


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