Author:   graesser  
Posted: 11.10.2000; 17:05:28
Topic: AUSSTELLUNGEN - KÜNSTLER 15
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LOST & FOUND << zurückweiter >>


György Orbán

Auch in Deutschland kann es passieren, dass man plötzlich in eine der schlecht synchronisierten, ursprünglich amerikanischen Dauerwerbesendungen zappt, die einen Programmplatz bei jenen Sendern des Privatfernsehens gefunden haben, deren Existenz man lediglich erahnt, bis man in Momenten existentieller Langeweile zu ihnen vordringt. Hier werden die deutschen Stimmen einfach über das englischsprachige Original geblendet und somit ist nichts synchron. Die deutschen Worte hängen hinterher oder eilen voraus, nie passen die verbalen Begeisterungsbekundungen zu der übertriebenen Gestik und Mimik der Moderatoren. Wort und Bild führen ein Eigenleben und aus der Absurdität dieser Szenerie entwickelt sich große Situationskomik. Ob Kosmetika, Kleidung, Küchen- oder Fitnessgeräte, Autozubehör oder Schmuck – schenkt man den Verkäufern Glauben, dann haben alle diese Produkte eines gemeinsam: Das Leben wird sich grundlegend und einschneidend verändern, sollte der Zuschauer zum Hörer greifen und unter der eingeblendeten Rufnummer das Produkt bestellen.

György Orbán nutzt Komik und Absurdität, die diesen Werbefilmen inhärent ist. Der Künstler verwendet einen originalen Fernsehspot, in dem ein Verkäuferpaar ein undefinierbares goldenes Objekt anpreist, das entfernt an einen Ministaubsauger erinnert. Diesen Werbefilm synchronisiert Orbán neu, versieht ihn mit einem ebenso inhaltsleeren wie phrasenhaften Verkaufstext und löscht damit jede ursprüngliche Produktinformation. Es verbleiben lediglich die Teile, in denen konkret zum Kauf ermuntert wird. Zusätzlich fügt Orbán kurze Sequenzen in den originalen Werbefilm ein und demonstriert in diesen, wie sich die Aura des ominösen Produkts bereits auf ihn übertragen hat: Nun ist er zum Beispiel in der Lage, Glühbirnen durch eine bloße Berührung der Fingerspitze zum Leuchten zu bringen. Der manipulierte Spot vermarktet kein spezifisches Produkt mehr, sondern repräsentiert die wachsende Branche der esoterischen Verkaufsartikel sowie die Heilsversprechen, die an deren Kauf geknüpft werden.

Neben diesem Werbefilm entwickelt Orbán in den Jahren 2005 und 2006 eine ganze „Aura“-Produktpalette. Die Fläschchen, Tuben und Schachteln, die zum Teil aufgrund eines fluoreszierenden Inhalts tatsächlich einen auratischen Schein verströmen, präsentiert er in Performances auf Messen und Verkaufsveranstaltungen sowie in eigens konstruierten Läden. Sein Konzept ist so überzeugend, dass sich einige der potentiellen Konsumenten täuschen ließen und an der Fiktion der Produkte zweifelten. Zwar erscheint die Vorstellung, die Crèmes und Wässerchen könnten sich tatsächlich auf die menschliche Aura auswirken, absurd, doch Orbáns trügerische Produktlinie ist von der Realität nicht allzu weit entfernt. Ein kurzer Blick ins Internet reicht für die Beobachtung aus, dass sich hier ein ganz eigener Markt entwickelt: Es gibt die Möglichkeit, mittels Chakra-Diagnostik die Farbe der eigenen Aura zu bestimmen oder die Aura-Energiefarben anderer Menschen zu erkennen. Eine Künstlerin namens Aurelia bietet sogar an, die Aura eines zahlenden Kunden zu malen.

György Orbán benutzt in zahlreichen seiner Arbeiten authentische Medien- und Fernsehbilder. Spielerisch manipuliert er diese, indem er sich zum Beispiel als Protagonist in berühmte Filmszenen schneidet oder Stammbäume mit fingierten Verwandtschaften berühmter Hollywoodschauspieler konstruiert. In seinem „Aura“-Projekt ironisiert er eine Branche, die das verlockende Angebot macht, Leerstellen zu füllen und Antworten auf die großen Fragen zu geben. Doch steht dieser Markt stellvertretend für eine generelle Entwicklung: An die Stelle religiöser und politischer Heilsversprechen treten in den westlichen Konsumgesellschaften zunehmend säkulare. Die Werbung arbeitet mit ausgefeiltem Produktmarketing, banal-alltägliche Konsumgüter werden reliquiengleich präsentiert und von Konsumentenseite ebenso verehrt. Nach dem Ende der kommunistischen Planwirtschaft und der Desillusion von damit verbundenen politischen Versprechungen, hat die Marktwirtschaft in Ungarn quasi über Nacht Einzug gehalten. Scheinbar noch aggressiver als im Westen wurden die noch „formbaren“, anfangs in Teilen auch überforderten Verbraucher mit der strahlenden neuen Welt des Konsums konfrontiert.



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