BIG NOTHING << zurückweiter >>
Isa Genzken

geboren 1948 in Bad Oldesloe, lebt und arbeitet in Köln

Leone Battista Alberti erklärte das Bild in seinem Malereitraktat von 1435 als »fenestra aperta«, als Fenster, das die Kunst mittels der perspektivischen Konstruk-tion auf die sichtbare Welt öffnet. Den damit implizierten, strengen Abbildungs-charakter hat die Kunst allerdings nach dem Ikonoklasmus der Fotografie und der folgenden, kompletten Desillusion durch die zwei Avantgarden des 20. Jahrhunderts eingebüßt. Mit ihren Fenster-Plastiken verweist Isa Genzken auf diese Vertreibung mimetisch dargestellter Inhalte aus der Kunst. Anstatt des geschlossenen Volumens traditioneller Bildhauerarbeiten verwendet Genzken die offene Form, deren Zentrum leer ist. Was bleibt, ist zunächst der bloße Rahmen, also eine äußere Voraussetzung dafür, etwas zu sehen. Das Kunst-Fenster hört auf, eindeutig definierte Grenze zwischen einem Hier und einem tiefenillusorisch gezeigten Dort zu sein, in das sich der Betrachter hineinträumen kann.
Wenn auch Allusionen an alltägliche Erfahrungen von Architektur – das Fenster als optische Membran – die Arbeit begleiten, ist doch die Trennung zwischen Betrachterstandpunkt und Illusionsraum aufgehoben. An dessen Stelle tritt in Genzkens transparenter Konstruktion das reale Umfeld des Museumsraums. Die inszenierte Leerstelle regt zweierlei an: Reflexionen über den Ausstellungsraum als Ort, an dem der Künstler mit seinem Werk und sein Publikum aufeinandertreffen, darüber hinaus aber auch die Frage nach und das Spiel mit dem eigenen Standpunkt. Als Leitspruch für eine Ausstellung 1993 formulierte die Künstlerin: »Jeder braucht mindestens ein Fenster«.
Transparenz und Grenzüberschreitung sind auch Themen der Röntgenbild-Fotografien, die Isa Genzken selbst zeigen. Die nach dem englischen Begriff für die aggressive Bildtechnik genannten »X-Rays« gewähren Einblicke in das Innere des Körpers. Auch unter die Oberfläche schauen zu können, zeichnete immer schon den Porträtisten aus. Angesichts der nackten Knochen aber fühlen wir uns schmerzlich an unseren sterblichen Leib erinnert, der sich sonst nur als kranker der Durchdringung des Röntgengeräts aussetzt. In der makabren Tradition des memento mori stößt die Künstlerin auf den Tod an, der mitten im Leben steht, und nimmt ihr eigenes Ende vorweg.