DAS TIER IN MIR << zurückweiter >>

ALBERT OEHLEN

Im Klima der Jungen Wilden Malerei der achtziger Jahre desavouiert Albert Oehlen (geb.1954 in Krefeld) Malerei durch Malerei in postsurrealistischen Imaginationen. Abgenutzter symbolischer Konsens, etwa die Taube als Emblem des Friedens, wird aufgekündigt. Die fette Friedenstaube, mit strahlend glotzenden Augen grob skizziert, segelt behäbig lustlos über eine linear strukturierte Welt. Ihr fehlt die charmant naive Leichtigkeit der Versöhnung und Frieden suggerierenden Vogelikone, wie sie als elegante Graphikertaube mit Ölzweig in den vorausgegangenen Jahrzehnten populär geworden war. Der Flügel verwandelt sich in eine Hand, die eine Pistole umgreift. Emotional gut transportierbaren Slogans der Friedensbewegung – »Frieden schaffen ohne Waffen!« – antwortet sie realistischer und zugleich abstruser: »Frieden schaffen mit immer mehr Waffen.«
Die wie von einer Düse vorwärtsgetriebene Friedenstaube entsteht in einem Jahr, in dem die Raumfähre Challenger explodiert, der Supergau von Tschernobyl die Welt erschüttert, der »Hamburger Kessel« der Polizei 800 Atomkraftgegner einschließt, Tripolis durch die USA bombardiert wird und sich die Attentate auf den schwedischen Reformpolitiker Olov Palme, den Atomphysiker Kurt Beckurts und dessen Fahrer sowie den Diplomaten Gerold von Braunmühl ereignen. Der Reigen von Gewalt, Tod und Vernichtung ist stets begleitet von der trügerischen Hoffnung auf eine bessere, fortschrittlichere, alle Menschen
beglückende Gegenwart und Zukunft. Vielleicht zynische, jedenfalls bleibende Aktualität offenbart Oehlens unfriedliche Taube heute angesichts des Kriegs gegen den Terrorismus, der Zerreißproben von Parteien und Regierungen am Rande der Krise.
Bei Oehlen behauptet sich der »Hunger nach Bildern« (Max G. Faust) als bissiges Experiment. »Er rekapituliert nicht das Gewesene, sondern erfindet das Kommende«. (Carsten Ahrens) Zugleich geht es um den Ge- und Verbrauch von Kunst. »Der Anspruch an ein Kunstwerk ist so hoch, daß man gerade deswegen nicht will, daß es sich manifestiert. (...) Dann müßte man ja glücklich sein, (...) und das wäre dann der Endpunkt. (...) Man will das natürlich auch in gewissem Grade abnutzen durch Draufgucken.« (Albert Oehlen) Diesem Abnutzungsprozeß von Kunst setzt Oehlen Destruktion als konstruktiven Vorschlag entgegen. DT

Carl Haenlein, Carsten Ahrens (Hg.):
Albert Oehlen – Terminale Erfrischung. Kat. Kestner Gesellschaft Hannover 2001



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