İpek Duben:
What is a Turk, 2003

Teil des Gemeinschaftsprojekts
»In name/voice of the Other« (»City of Signs«)
mit Gérard Mermoz, 2003
sechs x fünf Postkarten im Concertino-Format
Digitaldruck, je 16 x 60 cm, Installation 60 x 192 cm
İpek Duben

 

Ipek Duben, Gérard Mermoz ::
In name/voice of the Other…, 2003, Dyptichon/polylog

Im April 2003 arbeiteten wir gemeinsam an dem Projekt Reading the City of Signs: Istanbul: revealed or mystified? [Die Zeichen der Stadt lesen: Istanbul: entblößt oder mystifiziert?], mit dem Ziel, einige Aussagen über die Rolle des Künstlers als Wissenschaftler zu überprüfen. [1]
Angelehnt an Prämissen aus Italo Calvinos Buch Die unsichtbaren Städte, definierten wir Kunst als Forschung und den Künstler als „Leser“. Unsere konzeptionellen Mittel und Methoden ergänzten wir mit Anregungen aus den Bereichen Geschichte, Reiseliteratur, Semiotik, Soziologie, Architektur, Musik, Klangkunst und Literatur.

Auch eine noch so verführerische Form muss für uns auf zwei Ebenen funktionieren:
1. als konzeptuelles Werkzeug der Analyse: um zu identifizieren und Themen hervorzuheben.
2. als kommunikative Plattform: um Gedanken zu stimulieren und den Betrachter kritisch zu beschäftigen. 3.

In diesem Kontext unterliegt formale Zweideutigkeit weder einer formalistischen Ideologie, noch ist sie Symptom eines hedonistischen Selbstausdruckes. Es handelt sich vielmehr um die strategische Entscheidung, den Zuschauer zu einem Dialog mit sich selbst und den Realitäten und Themen, welche die Arbeit anspricht, zu veranlassen.
Wir definieren unsere praktische Arbeit als Feldforschung und unsere Aktionen als Interventionen, denn sie erfordern das Eindringen in einen gegebenen Bereich, sowie die Interaktion mit Materialien innerhalb ihres ursprünglichen Kontexts.

In name/voice of the Other… [Im Namen/Mit der Stimme des Anderen...] evoziert Fragen über Identität und Stereotypen, indem es uns mit den Zeichen konfrontiert, durch die der/die Andere sich selbst manifestiert, durch die er/sie sich zu verstehen gibt und welche die Bedeutung seiner/ihrer selbst auf der Basis von Werten und Erwartungen etablieren. Zwischen dem verkehrten Stereotyp (What is a Turk?) und der unbestreitbaren akusmatischen Präsenz (Laughter), manifestiert sich der/die Andere stets als Objekt und Subjekt der Interpretation.

[1] www.research.linst.ac.uk/cityofsigns ^

Ipek Duben ::
What is a Turk?, 2003, Postkarten-Installation

Indem Ipek Duben unverblümt fragt »Was ist ein Türke?« und dabei vom populären Medium Postkarte Gebrauch macht, konfrontiert sie uns mit offensichtlich hartnäckigen Stereotypen bezüglich Rasse und Kultur. Diese zitiert sie aus einer Auswahl von Texten westlicher Autoren: Rudyard Kipling, Edmondo de Amicis (Costantinople, 1896), W.S. Monroe (Turkey and the Turks, 1907), Joe E. Pierce (Life in a Turkish Village, 1964), David Hotham (The Turks, 1972), Robert Kaplan (The Coming Anarchy On Our Planet, 1994), sowie aus einem Artikel, der im New Statesman and Society veröffentlicht wurde (2. Februar 1996).

Bei den Bildern handelt es sich um Gruppenfotos, die zum Teil aus den Familienalben der Künstlerin stammen. Da es keine explizite Korrelation zwischen Bild und Text gibt, bleibt die Frage, ob ihre Zusammenstellung einem logischen Grundprinzip folgt oder generisch erzeugt ist. Welche Position die auch beziehen Künstlerin mag, die Gegenüberstellung von abstrakten Stereotypen und konkreter visueller Repräsentation von Individuen, Familien, Freunden, Gruppen und Menschenmengen, unterstreicht die willkürliche und pervertierte Natur dieser Stereotypen.

Für sich gesehen, haben die Fotografien die Kraft, ihre eigenen Assoziationen hervorzurufen, während sie uns mit der eigenen Identität der Anderen (sowohl aus der Gegenwart als auch aus der Vergangenheit) konfrontieren. Die Fotografien zeigen eine Sammlung anonymer Gesichter, alte wie junge, und konfrontieren uns mit eklatanten Vorurteilen, die als Texte auf der Rückseite der Postkarten abgedruckt sind. Gleichzeitig bieten uns diese Bilder einen handfesten Grund diese Stereotypen zu benennen und ihnen entgegen zu treten, aus denselben subjektiven Gründen aus denen sie entstanden sind und sich verbreitet haben.

Gérard Mermoz ::
Laughter (Kahkaha), Aus der Serie Schallpostkarten aus Istanbul

Ein sechsjähriges Mädchen erforscht die Flexionen und Echos ihrer Stimme und begibt sich in die Grenzbereiche der Sprache. Dabei lauscht sie aufmerksam den Raumklängen und der Musik die sie umgibt. Ihr Monolog entfaltet sich über zwei Minuten, bis das Türkische Wort ’kahkaha’ (Gelächter) sie unterbricht und sie zur Sprache zurückkehren lässt.

Laughter [Gelächter] basiert auf einer einmaligen Improvisation, aufgeführt von der sechs Jahre alten Gülnar Mimaroğlu, in der Yerebatan Zisterne in Istanbul - einer spektakulären unterirdischen Konstruktion aus dem Byzantinischen Zeitalter, welche der nahe gelegenen Hagia Sophia als Ort der Besinnlichkeit Konkurrenz macht.

Laughter bedeutete das gleichzeitige Improvisieren und Setzen – im typografischen Sinne – eines Textes in einem akustischen und architektonischen Raum, der wegen seiner überragenden Akkustik, seiner architektonischen Qualitäten – Erhabenheit, Schlichtheit, Spiritualität – und wegen seiner kulturellen Bedeutung ausgewählt wurde.

In den Grenzgebieten der Sprache entfaltet sich ein wortloser Monolog entlang einer scheinbar narrativen Linie – mehr ein Scheingrund als ein Thema, dessen Aufgabe nicht darin besteht, einen Inhalt zu vermitteln, sondern die fonischen Handlungen des Darstellers zu provozieren und zu stärken.
Die Aufnahme wurde ohne Unterbrechungen gemacht, während wir uns flink unter den Gewölben bewegten und spielerisch sowohl Gülnars Stimme als auch zusätzliche Umgebungsgeräusche in einer improvisierten Kollage aufnahmen: tropfendes Wasser, fliegende Vögel, leise gespielte klassische Musik... Das Stück bedurfte keiner weiteren Bearbeitung und wurde lediglich mit einem Fade In und einem Fade Out versehen. Angesiedelt zwischen Musik, Klangkunst und Performance könnte man diese Aufnahme als Typofonik bezeichnen.

Weit entfernt von offensichtlich östlichen Klischees und Stereotypen (Ruf zum Gebet, Lärmender Bazar, Rufe von Straßenhändlern, Nebelhörner, usw.), und noch viel mehr als alle meine anderen Aufnahmen, verkörpert Laughter meine Istanbul Erfahrungen. Der verwundbare und zögernde Ausdruck eines Kindes – oszillierend zwischen Freude, Neugierde, Verwirrung und Angst – in einem solch gewaltigen, unterirdischen Raum von großer Schönheit und Klarheit, hebt die vermittelnde Eigenschaft von Klängen hervor zwischen dem Ich und dem Selbst, dem Selbst und dem Anderen und zwischen Menschen und Orten. In der fast leeren Zisterne erzeugen Felsen, Wasser, Farbe und Dunkelheit einen Zufluchtsort inmitten der Stadt.

Während einer Sendung des Nationalen Türkischen Radios bemerkte eine Journalistin (nicht auf Sendung), dass sie keine Verbindung zwischen Laughter und den ihr bekannten »Klängen der Stadt« sehe. Ich wies darauf hin, dass es nicht mein Bestreben war, existierende Klänge zu reproduzieren – wie ein Klangarchiv es tun würde – sondern eine Synthese aus meinen Erfahrungen zu präsentieren und dabei neue Klänge der Stadt hörbar zu machen. Aus dieser Perspektive definiert sich Laughter neu: »Das Hinzufügen neuer Klänge in die Geräuschkulisse der Stadt,« oder anders: »Man schenkt der Stadt einen neuen Klang, und gibt ihr zurück was ihr bereits gehörte.«

Laughter ist als Soundtrack auf CD erhältlich [2], sowie als Foto-Sound Installation, in der Fotografien der Performance beigefügt sind. Die in dieser Ausstellung präsentierte Version ist die kompakteste und dem Postkartengenre am nächsten – klein, tragbar, in niedriger Auflösung, bescheiden, entbehrlich. Die gelieferten visuellen und akustischen Beweise versuchen nicht mit der Original-Performance zu konkurrieren, sondern wollen in absentia das Erinnern an einen einzigen Moment heraufbeschwören.

[2] in: Earshot 4, Zeitschrift der »UK and Ireland Soundscape Community«.