Hale Tenger:
I Know People Like This II, 1992

Installation,
Priapusstatuetten in Messingguss,
Affenstatuetten, 700 x 140 x 9 cm
(Nichts Böses hören - Nichts Böses sagen -
Nichts Böses sehen)
Hale Tenger

 
Hale Tenger, 1960 geboren, gehört zu jener Gruppe junger türkischer Künstler, die mit der Vergangenheit gebrochen haben und seit den 1990er Jahren vermehrt internationale Aufmerksamkeit erlangten. Kritisch und voller selbstbewusster Radikalität treten sie mit ihren Arbeiten den politischen und gesellschaftlichen Kräften der Türkei gegenüber und thematisierten Probleme wie die in sämtlichen Lebensbereichen anzutreffende Gewalt, Migration, neue Formen des urbanen Zusammenlebens und schließlich auch den kritischen Umgang mit nationaler Identität und Geschichte.

Die Vermischung von ethnographischen, zeitgenössisch-politischen und individuell-psychologischen Aspekten durchzieht sämtliche Arbeiten von Hale Tenger. 1992 zeigte die Künstlerin auf der 3. Istanbul Biennale erstmals ihre großformatige Wandarbeit I Know People Like This II, in der auf einem panoramaartig im Ausstellungsraum installierten Firmament Mondsichel und Sterne aus kleinen Phallus-Figuren eingebettet sind in ein Pattern aus nicht-sehenden, nicht-hörenden und nicht-sprechenden Affenkolonien. »Ich kenne Leute wie diese«, heißt das provokative Arrangement der drei Affen mit dem Bild des phallischen Fruchtbarkeitsgottes. Mittels der Verbindung von kitschigem Nippes und antikem Priapos-Motiv – Symbole sowohl der sozialen und politischen Unterdrückung als auch des »Phallozentrismus der populären Kultur« - auf flaggenartigem Himmelsgrund richtet sich die Künstlerin gegen die männlich dominierten Strukturen des gesellschaftlichen, religiösen und politischen Lebens weltweit und verspottet die widerstandslose Unterwerfung der Massen unter jeglichen populistisch-nationalistischen Diskurs.

Aufgrund der Ähnlichkeit der in der Installation erscheinenden Symbole mit den nationalen Insignien der Türkei, Mondsichel und Stern, wurde Hale Tenger 1992 wegen Verunglimpfung der türkischen Flagge vor Gericht zitiert, jedoch wenig später von diesem Vorwurf frei gesprochen. Die Installation war offensichtlich zu radikal für die konservativen Kräfte des Landes.

Ein deutliches politisches Statement formuliert Hale Tenger auch in ihrer Videoinstallation Cross Section, die sie 1996 für die Manifesta in Rotterdam anfertigte. Überlebensgroß erscheint das Antlitz der Künstlerin auf beide Seiten einer Leinwand projiziert. Auf der einen Seite ist die Rückenansicht ihres Kopfes, auf der anderen ihr Gesicht zu sehen. Von Zeit zu Zeit verkehrt sich das Bild, während als »voice over« die Stimme der Künstlerin unablässig von ihren und den Schwierigkeiten anderer erzählt, aus der Türkei in europäische Staaten einzureisen. Rekurrierend auf »History and Geography of Human Genes« rezitiert sie über historische, politische und individuelle Aspekte der Migration, spricht von den erniedrigenden Erfahrungen bei der Beantragung eines Visum, vom Fremdsein in Istanbul, von der Migration der turkmenischen Völker aus Asien in die heutige Türkei oder von der Exilierung der türkischen Bevölkerung aus allen Landesteilen nach Istanbul im 15. Jahrhundert, um die Stadt auf Anordnung des Sultans zu bevölkern und spannt so ein Netzwerk, konstruiert einen »Querschnitt« objektiver und subjektiver Zeugnisse der Migration über Zeiten und Territorien.

Noch immer bleibt der Mehrheit der türkischen Staatsbürger vor allem aufgrund der Visabestimmungen der Europäischen Union das Recht auf eine freie Überquerung ihrer Grenzen verwehrt, deren ohnmächtige Frustration in der reduzierten Präsentation und dem monotonen Monolog der Künstlerin eine gleichsam körperliche Präsenz erhält. Cross Section erzählt von diesem politischen und sozialen System der Repression und durchleuchtet - vom Globalen zum Gesellschaftlichen und zum Individuellen gelangend - kritisch den Diskurs und die Politik der Macht.

Text: Katrin Kaschadt