Can Altay :
»We're papermen«, he said, 2003

Rauminstallation
Multiprojektion, Text, Ton
ca. 650 x 550 cm
Can Altay

 
Ein Gespräch zwischen Deniz Altay und Engin Öncüoğlu [1]

Deniz Altay: Von Minibars zu Altpapiersammlern; Cans Arbeiten haben uns auf Reisen in die Stadt mitgenommen. Wenn wir seinen Spuren folgen, werden wir in den Alltag der Stadt einbezogen; wir fühlen uns als normale Bewohner der Stadt, und wir erkennen die Existenz anderer Menschen um uns herum. 'Andere', die Altay als 'die normalen Unerwarteten' beschreibt.

Engin Öncüoğlu: Schon sehr früh, seit dem Moment, als er sein systematisches Tagebuch in den Toilettenräumen des Gebäudes ausstellte, in dem die Ausstellung Ankara�da Genç Sanat 3 gezeigt wurde, hat sich Can Altay mit einem weiter gefassten Thema beschäftigt. Und mit jedem Projekt dringt er weiter zum Kern des Themas vor. Der Erfolg dieses frühen Projekts und der Verwendung von Tagebuchmaterial liegt darin, dass es auf ein von ihm völlig unabhängiges Thema eingeht. Gleichzeitig bezieht Altay uns auf einer anderen Ebene in seinen Alltag ein und bringt sich selbst und sein Publikum dazu, die eigenen Alltagserlebnisse und deren Substanz zu hinterfragen.

DA: In seinen späteren Arbeiten konzentriert sich Can auf Dinge, die den meisten Einwohnern einer Stadt entgehen. Praktiken am Rande der Gesellschaft, außergewöhnliche Nutzungen des Stadtraums und der von den Einwohnern geschaffenen Räumen. Wie 'Minibars' - nicht geplant und gebaut - sondern geschaffen durch die andersartigen nächtlichen Aktivitäten der jungen Menschen in Ankara. Sich mit Freunden zu treffen, sich zu unterhalten und einen zu trinken wurden zu subversiven Tätigkeiten, weil sie in einem Bereich stattfanden, in den sie, gängigen Vorstellungen entsprechend, nicht gehörten. In »We�re papermen« he said [»Wir sind Altpapiersammler«, sagte er] beschäftigt sich Can mit der Arbeit der inoffiziellen Müllmänner, die jeder Einwohner einer der größeren türkischen Städte kennt, die aber dennoch ignoriert werden.

EÖ: Dieses Potenzial in Altays Arbeiten ermöglicht ein tieferes Verständnis der grundlegenden Probleme und des Themas, das seine Arbeit bestimmt. Dieses Thema, das als 'unvorhersehbare Neugestaltung' bezeichnet werden kann, findet sich in vertiefter, aber dennoch einfacher Form in allen seinen Arbeiten wieder. Die literarische Struktur von »We�re papermen« he said könnte fast als 'didaktisch' bezeichnet werden, auf jeden Fall handelt es sich aber um einen 'agitatorischen' und 'provokanten' und nicht um einen 'vorsichtigen' oder 'zögerlichen' Text. Es ist zu erkennen, dass Altay unerwartete Bedeutungen und Konfigurationen seiner Arbeit nicht unbedingt verhindern möchte. Ähnlich Agitationstaktiken werden auch in dem Projekt Minibar angewendet. Hier beschreibt er die Beziehung zwischen dem Raum und seinen Bewohnern, also denjenigen, die den Raum schufen bzw. ihn innerhalb des begrenzten Planungsfreiraums nutzen.

DA: Can ermöglicht es uns, die Stadt neu zu entdecken, indem er seine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen dokumentiert und so neue Interpretationen der Stadt entwickelt.

EÖ: Wenn wir uns genauer anschauen, wie »We�re papermen« he said aufgebaut ist, sehen wir, dass Altay eine genaue Bestandsaufnahme seines Lebens erstellt und diese als 'Material' benutzt. Wir sammeln dieses bekannte, aber wenig beachtete Material; indem wir es aufheben und sortieren wie die Altpapiersammler, verwandeln wir es in eine Erzählung. Dennoch enthält dieses Material keinerlei außergewöhnliche Aufzeichnungen. Der eigentliche Unterschied besteht darin, dass wir den Text wahrnehmen, uns seiner bewusst sind, in ähnlicher Weise, wie die auf eine Leinwand aus Altpapier projizierte Karte Gleichheit und Bewusstsein dokumentiert.

DA: Dies erzielt Can nicht nur, indem er seine eigenen Erfahrungen mit dem Besucher teilt, sondern auch, indem er ihm ermöglicht, an dessen Erfahrungen teilzunehmen und innerhalb der Installationen ähnliche Praktiken einzusetzen. Wie bei früheren Arbeiten erfordert auch diese Installation ein gewisses 'Einleben' des Besuchers.

EÖ: Wir können noch weiter gehen und behaupten, Altay wolle nicht nur Dinge erklären oder verdeutlichen, sondern im Gegenteil auch dazu anregen, sie selbst zu entdecken. Wenn das geschieht, geht es niemals nur um das visuelle Element oder den Text, vielmehr bringt der Betrachter seinen eigenen Hintergrund in die Arbeit ein. Diese Elemente definieren gemeinsam die Hierarchien der vorgegebenen Idealwahrnehmung des Werks - Wahrnehmung durch den Künstler und den Betrachter - neu.

[1]: Deniz Altay ist Stadtplanerin und Engin Öncüoğlu ist Schriftsteller. ^

Videostill: »We're papermen«, he said, 2003