Kuratorische Konzepte : Hans Ulrich Obrist

Am 30. Mai 1968 während der Pressekonferenz zur XIV. Triennale di Milano stürmten einige Hundert Künstler, Intellektuelle und Architekturprofessoren der Universität von Mailand den Ausstellungsbereich der Biennale und besetzten diesen für die folgenden zehn Tage. Am Ende der Okkupation war diese historische Ausstellung der kritischen Architektur-Avantgarde der 1960er Jahre fast vollständig zerstört - so auch die Räume von Georges Candilis, Aldo Van Eyck, Arata Isozaki, Gyorgy Kepes, George Nelson, Peter und Alison Smithson und Shad Woods. Die Ausstellung wurde nie wieder für das Publikum geöffnet.

Wie der italienische Urbanist Stefano Boeri in seiner Analyse des Triennale-Phänomens zeigt, war Vielfalt das einigenden Thema der Schau. Sie war der Suche nach Alternativen zur Vermassung der Gesellschaft gewidmet, der Vorstellung von Partizipation an einer Kultur, die Bewahrung von Individualität gewährleisten kann.
Angeregt durch das Thema »Mehrheit«, hatte die XIV. Triennale ein lebhaftes Interesse an den sich damals in Italien wie auch in anderen Ländern formierenden Protestbewegungen. Es war kein Zufall, dass der durch die junge Florentiner Architektengruppe UFO gestaltete Ausstellungsteil sich gänzlich auf den Mai 1968 in Paris und auf die Protestbewegung in den USA bezog.
Doch trotz dieses Umstandes war die von Giancarlo De Carlo in Zusammenarbeit mit Marco Zanuso, Albe Steiner und Alberto Rosselli geplante Ausstellung zerstört worden. Aber seit dem ist diese unsichtbare Ausstellung - erfahren und verwüstet im Zeitraum weniger Wochen durch eine selbsternannte Mehrheit jähzorniger Nachkommen und Vandalen - zu einem Brennpunkt heftiger Gefühle und Leidenschaften geworden.

Die Entscheidung, den von Isozaki gestalteten Raum für »Iconoclash« zu rekonstruieren, basiert einerseits auf dessen historischem Stellenwert als einem der Schlüsselwerke der Geschichte experimenteller interdisziplinärer Ausstellungen - eine Geschichte, die wohl sonst dem Vergessen anheim gefallen wäre - sowie andererseits auf der engen Beziehung zu den Themen, die mit der Ausstellung »Iconoclash« angesprochen werden sollen.
Falls dem so sei, dass Isozaki keine ikonoklastische Installation konzipiert hat, so kann diese auf jeden Fall als eine Reflexion des Ikonoklasmus aus japanischer Sicht gesehen werden. Und eher als sich mit Isolation, Unterbrechung oder Absonderung von Bildern auseinanderzusetzen, entwirft seine interdisziplinäre Installation eine neue Kaskaden von Bildern, ein neues Projekt zur Vervielfältigung der Möglichkeiten des Sehens, in dessen Zentrum die Konzentration auf das japanische »Ma« steht, d.h. die Ausrichtung auf den Raum zwischen Bildern. Dadurch verweist Isozaki auf die grundlegende Ausrichtung dieser Ausstellung: auf die Auffassung, dass es nicht um das Problem von einer Welt aus Bildern und einer Welt ohne Bilder geht, sondern um den unterbrochenen Bilderfluß und eine Kaskade aus Bildern. Isozakis interdisziplinäre Installation von 1986/2002 bietet ein Verhandeln über und zwischen verschiedenen Elementen an, das eine Welt jenseits der Bilderkriege und Kriege der Disziplinen einrahmt und das den Betrachter dazu ermutigt, nach anderen Eigenheiten von Bildern zu suchen.

 

+ Biografie

Hans Ulrich Obrist

Kurator

Der Schweizer Ausstellungsmacher Hans Ulrich Obrist gehört international zu den gefragtesten Kuratoren
Nach den Studien der Ökonomie und Politik wandte er sich der zeitgenössischen Kunst zu und hat seitdem mit ungewöhnlichen Ausstellungen, oft an Orten, die sich als Kunstbühnen noch nicht durchgesetzt haben, innerhalb weniger Jahre für Aufmerksamkeit gesorgt. Er kuratierte Ausstellungen im Musèe d'Art Moderne de la Ville de Paris, Kunsthalle, Wien, Deichtorhallen, Hamburg, Serpentine Gallery in London, PS1 u. v. a.

Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen:
World soup [München 1993], Delta X [Regensburg 1996], Unbuilt roads : 107 unrealized projects [Ostfildern 1997] Vito Acconci im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist, 1993; Text : Schriften und Interviews / Gerhard Richter, [Hg.], Frankfurt am Main 1993; Félix González-Torres im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist, 1994; Bertrand Lavier: Argo, [Hg.] 1994; Dara Birnbaum im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist, 1995; Christian Boltanski im Gespräch mit Hans-Ulrich Obrist, 1995; Annette Messager. Nos témoignages, 1995; Lost day : 1972 / Gilbert & George [Hg.] , Köln 1996; Laboratorium [mit Barbara Vanderlinden [Hgg.]], Antwerpen 1999.

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