Kuratorische Konzepte : Dario Gamboni

Zu zerstörendes Bild, unzerstörbares Bild

Die Darstellung der Zerstörung von Darstellungen

Nur wenige Bilder stellen Menschen dar, die Bilder attackieren. Sie mögen sich zwar auf tatsächliche Ereignisse beziehen, deren Zeugen die Urheber der Bilder wurden, doch gehen sie immer über das bloße Dokumentieren hinaus. Sie beinhalten eine Reflexion über die Bedeutung der Beschädigung oder Zerstörung eines Bildes, eines Denkmals, eines Kunstwerkes, und sie deuten Gründe für diese Handlung an. Üblicherweise beziehen sie Stellung für das attackierte Objekt und verurteilen den Angreifer. Dies ist nicht überraschend, da die Künstler, die diese Bilder machten, selbst Teil der Bildproduktion waren. Aber diese Verurteilung kann auch die Perspektive der Öffentlichkeit wiedergeben, die dazu tendiert, die willentliche Zerstörung von Kulturgütern als barbarische und irrationale Verhaltensweisen anzusehen.

Wie geht man mit politischen Monumenten um?

Verständlicher ist hingegen warum politische Monumente ins Visier genommen werden. Wird ein Regime bedroht oder gestürzt, so werden die von ihm errichteten Gebäude und Statuen, seine Instrumente und Symbole also, attackiert. Ihre Funktion verschwindet nicht, sondern wird verändert; die zurückbleibenden Bruchstücke werden in vielen Fällen konserviert und erhalten den Status von Souvenirs, Reliquien und neuen Monumenten. Dies geschah mit der Pariser Bastille 1789 und zweihundert Jahre später mit der Berliner Mauer. Demgegenüber steht die Befürchtung, dass durch die Beseitigung politischer Monumente auch die kollektive Erinnerung zerstört wird und dies eher zu einer Wiederholung derselben Fehler führen könnte als aus ihnen zu lernen. Und andere Ansichten legen nahe, dass das, was momentan als politische Propaganda zurückgewiesen wird, sich letzten Endes doch als Kunst entpuppen könnte.

»Vandalen« contra »Ikonoklasten«

Industrie- und post-industrielle Gesellschaften zerstören schon immer große Teile ihres materiellen Erbes im Namen des Fortschrittes. In den Künsten hat das Ideal der ausgelöschten Vergangenheit und die Ablehnung überlebter Traditionen den »Ikonoclasmus« der Avantgarde entstehen lassen. Neben der Aneignung von Reproduktionen älterer Arbeiten und der Konzeption selbstzerstörender Happenings, haben sich einige Künstler mit der Behauptung, dass die Zerstörung von Kunst Kunst sei, gegen das Original gewandt. Unterdessen haben einige mehr oder weniger »unfreiwillige« oder schlecht vorbereitete Besucher, die sich in Museum und im öffentlichen Raum mit moderner Kunst konfrontiert sahen, ihrer tiefen Abneigung physischen Ausdruck verliehen und wurden als »Vandalen« gebrandmarkt. Aber die »Ikonoklasten« und die »Vandalen« sind sich wohl manchmal näher als sie denken. In einigen aktuellen Arbeiten wird auch die Zerstörung von Bildern wieder zum Thema, und wir werden aufgefordert, inne zu halten und über den Drang zu zerstören und das Bedürfnis zu bewahren nachzudenken.

 

+ Biografie

Dario Gamboni

Prof. für Kunstgeschichte, Kunsthistorisches Institut, Universität von Amsterdam

Dario Gamboni wurde 1954 in Yverdon (Schweiz) geboren. Er studierte Kunstgeschichte in Lausanne und Paris. 1989 promovierte er in Kunstgeschichte an der Universität von Lausanne. Neben seiner Tätigkeit als Kurator zahlreicher Ausstellungen lehrte er an der Universität von Zürich und der Universität von Strassburg. Von 1991 bis 1998 war er Professor für Kunstgeschichte an der Universität Lyon II, von 1993 - 1998 Mitglied des Institut Universtaire de France, 1996 Ailsa Mellon Bruce Senior Fellow am Center for Advanced Study in the Visual Arts, National Gallery of Art, Washington D.C., von 1998 bis 2000 Andrew W. Mellon Professor of Humanities am Department of Art History and Art der Case Western Reserve University in Cleveland, Ohio. Seit 2000 lehrt Gamboni als Professor für Kunstgeschichte am kunsthistorischen Institut der Universität von Amsterdam. Er hat zahlreiche Aufsätze und Bücher vornehmlich zur Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts publiziert, mit einem Schwerpunkt auf der Sozialgeschichte von Kunst, Rezeption, Kunst und Literatur, Kunstkritik, Symbolismus, religiöser Kunst und Ikonoklasmus.

Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen: Un iconoclasme moderne. Théorie et pratiques contemporaines du vandalisme artistique [Zürich und Lausanne 1983], La plume et le pinceau. Odilon Redon et la littérature [Paris 1989] und The Destruction of Art: Iconoclasm and Vandalism since the French Revolution [New Haven und London 1997; deutsche Übersetzung bei DuMont, Köln 1998]; Louis Rivier (1885- 1963) et la peinture religieuse en Suisse romande, Lausanne: Payot, 1985; La géographie artistique (Ars helvetica. Arts et culture visuels en Suisse, vol. I), Disentis: Desertina, 1987; Zeichen der Freiheit. Das Bild der Republik in der Kunst des 16. bis 20. Jahrhunderts [Mitherausgeber Georg Germann], Katalog von Council of Europe, Bern 1991.