Kuratorische Konzepte : Denis Laborde

Der seltsame Werdegang von »Musicoclash«

Es wäre zwecklos, zu lange über den Begriff Musicoclash nachzudenken. Im Reigen der Neologismen, der diese Ausstellung durchzieht, ist er eher ein augenzwinkerndes Echo der Bezeichnung Iconoclash, die von den Experten für das visuelle Bild anlässlich dieses Ereignisses ersonnen/ gewählt wurde. Mein Musicoclash ist nichts weiter als die akustische Version des visuellen Iconoclashes - eine mir höchst reizvolle erscheinende Vorstellung. Im Wesentlichen ist das Projekt eine Geste - eine an sich musikalische -, die Unordnung innerhalb eines Repräsentationssystems der/ von Welt stiftet. Ob dieses Zersprengen vorsätzlich oder nicht herbeigeführt wird, ist weniger wichtig; was zählt, ist nur, dass diese Geste eine Störung bedeutet; dass viel Aufhebens um sie gemacht wird; dass sie diskutiert wird; und dass sie oft - wenn auch nicht immer offen -, mit Nachdruck gutgeheißen wird. Die Flut von Wörtern, die in den Medien über sie verbreitet oder in Archiven gespeichert wird, ist bemerkenswert.

So machte sich denn Machaut der Häresie verdächtigt; so wurde Bach schon 1729 aus Leipzig verbannt; so hatte sich der Jazz-Komponist Bardo Henning für die Verunglimpfung des deutschen Nationalsymbols anlässlich des Tages der deutschen Einheit 1998 zu verantworten; so wurde der Pop-Sänger Serge Gainsbourg angeklagt, aus der Marseillaise ein »belangloses Liedchen eines Drogenabhängigen« gemacht zu haben« ... Und während im Spätsommer 2001 eine große Demonstrantenmenge vor der Bibliothèque Nationale de France gegen das gesetzliche Verbot von Raves protestierte, wurde die Assemblée Nationale, das französischen Parlament, von hitzigen Debatten über eine »angemessene Gesetzesregelung« der die Techno-Musik begleitenden Trance-Effekte erschüttert. Dieses sind nur einige Beispiele der in der Ausstellung präsentierten Musicoclashes. Zu verweisen wäre auch auf die herausfordernden Projekte von John Cage oder von Carl Michael von Hauswolff, die beide den Moment ausloten, in dem Musik zu Stille wird, sowie auf die dreisten, exzessiven und alles durchdringenden Punk-Stücke der Sex Pistols.

Diese Episoden sind insofern Musicoclashes, als dass sie über einen rein musikalischen Rahmen hinausgehen. Ob diese streitbaren Strategien religiös oder künstlerisch, moralisch oder politisch motiviert waren, spielt kaum eine Rolle; auch nicht, ob es sich angeblich um Beleidigung, Meineid oder Provokation, Empörung oder Blasphemie handelte. Eine Rolle spielt nur, dass sie diskutiert wurden. Gegen Handlungen müssen Anschuldigungen erhoben werden und Worte müssen anschuldigen. Es kann zu keinem Zusammenstoß, keinem »Clash«, kommen, wenn die Geste als netter Witz aufgefaßt wird. Im Gegenteil, ein musikalisches Aufeinanderprallen wird eigentlich am ehesten an der anhaltenden, aufmerksamen Zensur sichtbar, die diese Geste bei den Gesetz gebenden Gewalten provoziert. Was im Hinblick auf solche Gesten des musikalischen Aufeinanderprallens immer diskutiert wird, ist die Frage, ob die kulturelle Aneignung eines Verweises, eins Zeichens - ob nun religiöser oder künstlerischer, moralischer oder politischer Art - zulässig ist. Diese Diskussionen stellen fundamentale Symbole, Zeichen der Zugehörigkeit und rituelle Formen in Frage, die eine gemeinsam Kultur geprägt haben; ihnen wird plötzlich der Kampf angesagt - durch die Gewalt einer Geste, die sich gegen den Status quo wendet.

 

+ Biografie

Musikanthropologe und Wissenschaftler am CNRS [Centre National pour la Recherche Scientifique]

Denis Laborde studierte am Conservatoire national Supérieur de Musique [Paris] und widmete sich als Dirigent schwerpunktmäßig zeitgenössischer Musik. Im Rahmen seines anschließenden Anthropologie-Studiums an der Ecole des Hautes Etudes en sciences sociales [Paris] setzte sich Laborde mit Musikethnologie westlicher Kulturen auseinander. Derzeit ist Laborde am Centre National de la Recherche Scientifique [CNRS] tätig und ist Mitglied der Mission Historique Française en Allemagne [Göttingen]. Im Zentrum seiner Forschungen steht die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Improvsiation und Perzeption bzw. mit Spannungsverhältnis verschiedenster musikalischer Stile und Materialien. Aktuell arbeitet Deborde an einer Publikation über Steve Reichs Oper Three Tales.

Zu seinen wichtigsten Publikationen zählen:
Tout un monde de musique, Paris: L'Harmattan, 1996; De Jean-Sébastien Bach à Glenn Gould. Magie des sons et spectacle de la passion, Paris: L'Harmattan, 1997; Musiques à l'école, Paris: Éditions Bertrand Lacoste, 1998; »Bach à Leipzig, vendredi saint de 1729«, Philippe Rousssin [ed.], Critique et affaires de blasphème à l'époque des Lumières, Paris: Honoré Champion, 1998, pp. 129-184; »Politique culturelle et langue basque : le Centre Culturel du Pays Basque [1984-1988]«, Ph. Blanchet, R. Breton, H. Schiffman [eds.], The Regional Languages of France : An Inventory on the Eve of the XXIst Century [Papers of the Conference Held at the University of Pennsylvania, Philadelphia, USA], Louvain-la-Neuve: Peters, 1999, pp. 141-160; »Enquête sur l'improvisation«, Louis Quéré et Michel de Fornel, La Logique des situations, Raisons pratiques, 10, 1998, pp. 261-299; »Thelonious Monk, le sculpteur de silence«, L'Homme, 158-159, 2001, p. 139-178; »Glauben, Wissen«, Historische Anthropologie , 2/01, 2001, Böhlau Verlag, Cologne, S. 255-270; »Das zweite Konzert. Steve Reich und das Ensemble Modern in München«, Sociologia Internationalis, Berlin, 2002.

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Last update: Tuesday, December 17, 2002 at 1:25:04 PM.