[ kapitel 1 ]
I n t r o
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Was bedeutet es, wenn in einem Museum ein künstlicher Regenbogen zu sehen ist? Wenn Jugendliche auf einer künstlichen Eisfläche im Museum Schlittschuh laufen? Wenn donnernde Wassermassen im Museum einen künstlichen Wasserfall bilden? Ist das Museum ein Naturschauplatz, eine Expedition in die Wildnis? Dient die Wissenschaft der Unterhaltung? Liefert die Kunst neue sinnliche Erfahrungen im Zeitalter der Wissenschaften? ...

Der 1967 in Dänemark geborene isländische Künstler Olafur Eliasson, der an der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen studiert hat, setzt sich in seinen Installationen mit Faktoren der menschlichen Wahrnehmung im technologischen Zeitalter und den Gesetzen der Natur unter der Perspektive ihrer anthropologischen Relativität auseinander. Seine Arbeit behandelt Fragen unserer Vorstellung von der Natur und den technischen Hilfsmitteln, die wir zu ihrer Wahrnehmung, Beobachtung und Vermessung benutzen.

Die Natur ist seit langem ein Testfeld, ja sogar ein Schlachtfeld des Menschen. Die Romantik hat die Natur auf anti-wissenschaftliche Weise vor dem Menschen retten wollen. Die ökologische Bewegung will dies auf wissenschaftliche Weise tun. Olafur Eliasson greift beide Impulse auf und entwickelt eine neue künstlerische Strategie. Er zeigt die Natur als Testfeld und Konstrukt der Wissenschaft. Seine Folie ist nicht die Wirklichkeit, sondern die Naturwissenschaft. Seine Installationen beziehen sich nicht auf eine präwissenschaftliche und prämediale Naturwahrnehmung, sondern exklusiv auf jene Naturphänomene, wie sie uns die Naturwissenschaft analytisch zugänglich gemacht hat. Von der Naturwissenschaft künstlich konstruierte Natur unter Laborbedingungen zeigt er im Labor des Museums. Es handelt sich aber nicht um eine Ausstellung von Science in einem Science-Center, sondern um die künstlerische Beobachtung von Wissenschaft bei der Arbeit. Diese Arbeit der Wissenschaft ist erstaunlicherweise äußerst attraktiv. Das Labor erweist sich als Ort nicht nur der Erkenntnis, sondern auch des Entertainments. In den einzelnen Kabinetten der Ausstellung erlebt der Betrachter eine Abfolge von perplexen Phänomenen, von unerwarteten Sensationen und Impressionen. Das Laboratorium der Wissenschaft im Ort des Museums ist ein Ort der Lust. Erkenntnisgewinn wird zum Genuss. Museumsräume werden zu Erlebnisräumen, in denen der Betrachter die Natur unter wissenschaftlichen Bedingungen beobachtet. Die Natur erscheint als eine Art Anthologie von Spezialeffekten, die aus der virtuellen Welt in die Welt der natürlichen Sinne zurückverwandelt wird.

Unsere Konstruktionen von Natur verändern sich im Laufe der Geschichte parallel zu sozialen und ideologischen, technischen und anderen Veränderungen. Physikalische Strukturen erweisen sich nicht frei von sozialen Bedingungen und Sozialisierungspotentialen, weil die Wahrnehmung und die Vermessungsgeräte determinieren, welche physikalischen Strukturen und was wir als physikalische Strukturen erkennen. Dem Einzelnen erscheinen oft Kulturmodelle so natürlich, dass er fälschlicherweise glaubt, es handle sich dabei um tatsächliche Merkmale unserer Umgebung. Die scheinbar rein physikalischen Experimente mit den vier Elementen Wasser und Feuer, Erde und Luft und, von ihnen abgeleitet, mit Licht und Farbe sind daher in Wirklichkeit auch Experimente mit unseren Wahrnehmungsmodellen und unseren Umweltmodellen, d.h. auch mit unseren sozialen Strukturen. Mittels seiner Geräte zur Wirklichkeitswahrnehmung stellt Olafur Eliasson mit einfachsten Mitteln die empirische Verbindung zwischen Wirklichkeit, Wahrnehmung und dar-gestellter Wirklichkeit her. Er formt mit Kulturtechniken natürliche Prozesse um. Die Natur wird dadurch hypothetisch zu einem Produkt der Zivilisation. Der Unterschied zwischen natürlicher Umwelt und anthropomorphem System wird nicht nach innen ausdifferenziert, sondern nach außen. Die Umgebung wird nicht nach innen gefaltet, sondern von außen umrundet, die Umgebung wird zum System, Surroundings werden surrounded. Die traditionelle Differenz zwischen Natur und Kultur, deren Grenzziehungen, werden in Frage gestellt.

Das ZKM stellt in dieser Personale, die sich über die gesamte Ausstellungsfläche in den Lichthöfen 8 + 9 erstreckt, das reichhaltige Werk dieses jungen Künstlers, der 1999 auch bei der Biennale von Venedig und 2000 als nominierter Künstler beim Preis für junge Kunst der Nationalgalerie Berlin vertreten war, mit früheren wie speziell für diese Ausstellung geschaffenen Werken dem Publikum vor.

- >  Peter Weibel [Kurator + Vorstand des ZKM]

Ausstellungsdauer: 31. Mai - 26. August 2001



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