Blurting In A & L

Answer 2/6

Author: Michael Hofstetter  
Posted: 27.08.2002; 20:03:36
Topic: Question 2
Msg #: 578 (in response to 418)
Enclosure:
Prev/Next: 577/579
Reads: 90417

Lieber Thomas,

verwunderlich, Deine Unterscheidung von "ästhetisch" und "theoretisch". Meine ursprüngliche Frage, warum das "Ästhetische" durch das "Theoretische" ersetzt werden sollte, basiert auf Überlegungen, welche die ästhetische Philosophie von Baumgarten über Kant, Hegel, Marx bis hin zu Adorno durchziehen. Daß nämlich das "Ästhetische" mit dem Moment des Nicht-Begrifflichen und das "Theoretische", soweit die Rationalität einem Zweck sich unterordnet, mit dem Moment des Begrifflichen zu tun hat. Wobei das Begriffliche immer ein Verhältnis von Herrschaft über das reflektierte herstellt und das Nicht-Begriffliche eine Reflexion ohne Herrschaftsmoment darstellt. Im Grunde aber stehen sich "ästhetisch" und "theoretisch" gar nicht gegenüber, sondern das ästhetische Denken ist eine besondere Form von Theorie, eine, die sich eben keinem Zweck unterordnet, die schlechthin nichts als voraussetzungslos ist. Deshalb kann es sich auch nur immer auf einen spezifischen Gegenstand beziehen und weder Kategorien bilden noch Gattungen definieren. Nur am Einzelnen kann ästhetische Reflexion überprüfen, ob etwas Kunst ist oder nicht, aber nicht kategoriell im voraus bestimmen, was Kunst schlechthin ist oder nicht. Kontextkunst bezeichnet eine bestimmte Praxis, ist aber nicht von vorneherein als die tauglichere und/oder bessere Praxis der Kunstproduktion bestimmbar. Greenberg gegen Kosuth auszuspielen, hätte ich große Vorbehalte. Beide wollen letztendlich generalisieren. Bei Greenberg gibt es Aspekte, vor allem was die Autonomie der Kunst betrifft, die es meines Erachtens zu bewahren gilt, nicht aber, indem wie er es macht, bestimmte Kunstformen ausgeschlossen werden. Bei Kosuth wurde mir bei allem Respekt für die Erweiterung des (Blick)feldes in unzulässig behaviouristischer Weise Erkenntnisse der Sprachanalytik auf die Kunst übertragen. Dies aber genau zu erörtern, bedarf es eigentliche einer ausführlichen Untersuchung. Dein Beispiel von Vostell scheint mir für die Erörterung des Problems, um das es meines Erachtens geht, gut geeignet. Jede ästhetische Repräsentation ist im ersten Schritt erstmal eine Verharmlosung der repräsentierten Wirklichkeit. Dies wird dort besonders evident, wo Gewalt, Terror, soziale Ungerechtigkeit, kurz das Leid des Menschen angesprochen wird. Hier kommt nun die Frage nach dem "Wie" der Repräsentation ins Spiel. Kunstwerke, die aus sich selbst heraus als solche benannt werden dürfen – und nicht weil sie im Museum stehen oder im Kunstbetrieb als solche kursieren oder qua Autorität eines Kritikers dazu gemacht wurden –, Kunstwerke reflektieren nicht nur alle die ihnen innewohnenden Momente ikonografischer und indexikalischer Natur, sondern problematisieren auch jenen Abstand, den sie zur Wirklichkeit einnehmen durch ein ihnen eigenes Moment der Gegenläufigkeit, des Widerspruchs, ja der Paradoxie. Sie stellen sich selbst als ästhetisches Gebilde zur Disposition! Diese Gegenläufigkeit meinte man in den sechziger Jahren in dem Verfahren der Décollage wiederzufinden. Es wurde zum Rezept schlechthin für die Illustration existenzieller Gemeinschaftsgefühle der vor allem an Baudelaire und Mallarmé gebildeten Bourgeoisie Frankreichs. Der erste, der Herz auf Schmerz reimt ist, ein Genie der hundertste ein Kretin. Vostells Arbeiten haben alle das Moment des Gekonnten. Neue Technologien erweitern erst einmal nur das Arsenal der Möglichkeiten, sich in der Welt zu verhalten. Mit ihnen kommen, wenn es sich um Kommunikationstechnologien handelt auch neue Sprechweisen in die Welt. Grundsätzlich aber bleibt das Problem der durch Beherrschbarkeit Verfügbarkeit garantierenden Technik überhaupt als eines, das der Ästhetik diametral gegenübersteht. Es genügt meines Erachtens nicht, systemtheoretische Deklinationen und Spiegelungen einer neuen Technologie zu betreiben, um diese Kunst werden zu lassen. Letztlich führt sich alle Netzkunst, die ich bisher gesehen habe, auf ein immanentes mehr oder weniger witziges Spiel mit bzw. Brechungen der technischen Möglichkeiten des World Wide Net zurück. Die Politik und das Begehren, das mit diesem Netz betrieben wird bzw. wir alle betreiben, habe ich noch nicht reflektiert bzw. problematisiert bzw. paradoxiert gesehen. Dazu müßte man das WWW als Modell selbst ausstellen. Also erzeugen und ausstellen, daß ein eigenes Netzwerk das alle Probleme bzw. sein eigenes Problem an die Spitze treibt. Frieder Buhl hat diese vor drei Jahren im BBK versucht. Mit interessanten Folgen. Nun sind wir bei den realen Räumen. Bei der sogenannten harten Wirklichkeit, die die Kunst meines Erachtens braucht, um alle fiktiven, eingebildeten, entworfenen und möglichen Räume darin zu reflektieren, sie dort brechen zu lassen und zum kollabieren zu bringen. Also jenes immanente Paradoxon herzustellen, das meines Erachten die conditio sine qua non von Kunst schlechthin ist. Wie es keine Teilung zwischen reinem Raum WWW und verdorbenen Kunstbetriebsräumen gibt, gibt es auch keine Teilung zwischen einem verdorbenen Leben des Geldverdienens und einem wahren Leben danach mit der Kunst bzw. des intellektuellen Spaßes. Aber darum geht es eigentlich gar nicht bei Blurting In. à suivre